Warum wirkt medikamentöse Therapie bei Depressionen häufig nicht?
Heute bin ich auf eine interessante Studie getoßen, die einen Beitrag zur Beantwortung liefert, warum Antidepressiva bei vielen Erkrankten keine gewünschte Wirkung zeigen. Nachfolgend meine Übersetzung einer Zusammenfassung der Studie:
Bei über der Hälfte der Patienten, die Antidepressiva gegen Depressionen einnehmen, verbessern sich die Beschwerden durch die Medikamente nie.
Warum? Weil die Ursachen der Depression zu stark vereinfacht dargestellt wurden und Medikamente, die für ihre Behandlung entwickelt wurden, auf das falsche Ziel gerichtet sind. Das geht aus neuen Forschungsergebnissen der Northwestern University Feinberg School of Medicine hervor. Diese Medikamente sind wie Pfeile, die jemand auf die Außenringe einer Zielscheibe schießt anstelle auf das Schwarze.
Eine Untersuchung aus dem Labor der langjährigen Depressionsforscherin Eva Redei, die letzte Woche auf der Konferenz Neuroscience 2009 in Chicago vorgestellt wurde, scheint zwei allgemein anerkannte Lehrmeinungen über Depression ins Wanken zu bringen. Die eine besagt, dass eine der Hauptursachen für Depression Ereignisse im Leben eines Menschen sind, die mit großem Stress verbunden sind. Nach der anderen löst ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern (chemischen Botenstoffen) im Gehirn die Symptome der Depression aus.
Beide Ergebnisse sind gleich wichtig, denn diese Überzeugungen waren die Grundlage für die Entwicklung der Medikamente, die heute zur Therapie von Depression benutzt werden.
Redei, die David Lawrence Stein Professorin für Psychiatrie an der Feinberg School of Medicine der Northwestern University in Chicago ist, fand überzeugende molekulare Beweise gegen das seit Langem geltende Dogma, dass im Normalfall Stress eine der Hauptursachen für Depression ist. Ihre aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass es so gut wie keine Überlappung gibt zwischen Genen, deren Aktivität bei Stress verändert ist, und solchen, deren Aktivität bei Depression verändert ist.
„Diese Studie ist sehr umfangreich und statistisch gut abgesichert”, sagt Redei. „Sie eröffnet neue Wege zur Entwicklung neuer und vielleicht wirksamer Antidepressiva. Seit 20 Jahren gab es keine Antidepressiva mehr, die auf einem neuartigen Konzept beruhten.“
Für ihre sehr aufwendigen Untersuchungen benutzte sie ein Tiermodell von schwer depressiven Ratten, bei denen man viele Andersartigkeiten des Verhaltens und der Physiologie von Menschen mit schwerer Depression beobachten kann. Man hält diese Ratten, die Jahrzehnte lang extra für die Depressionsforschung gezüchtet wurden, für die depressivsten der Welt.
Kaum eine Überlappung bei Stress- und Depressions-Genen
Für ihre Studien bediente sich Redei der „Microarray”-Technologie. Bei diesem Verfahren wird eine Vielzahl von biologischen Proben (hier Gene und ihre Aktivität) mit automatisierten Methoden auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht und die Ergebnisse mit Computerunterstützung ausgewertet. So ließen sich bei den Tieren bestimmte Gene identifizieren, deren Aktivität bei Depression verändert ist. Sie analysierte die Gene in den Gehirnregionen – dem Hippocampus und der Amygdala – die bei Ratten und Menschen mit Depression auch häufig verändert sind.
Dann nahm sie vier genetisch verschiedene Stämme (Zuchtrassen) von Ratten und setzte sie zwei Wochen lang chronischem Stress aus. Danach identifizierte sie die Gene, deren Aktivität sich durch Stress bei allen vier Stämmen und in den gleichen Gehirnregionen übereinstimmend erhöht beziehungsweise vermindert hatte.
Jetzt hatte Redei eine Sammlung von „Depressions-Genen“ aus dem Tiermodell für Depression und eine Zweite von „Stress-Genen“ aus ihrer Untersuchung an chronisch gestressten Ratten.
Als Nächstes verglich sie die beiden Gen-Sammlungen auf Ähnlichkeiten bei der Genaktivität. „Wäre die Theorie „Stress verursacht Depression“ richtig gewesen, hätten sich die Sammlungen deutlich überschneiden sollen“, sagt sie. „Das war aber nicht der Fall.“
Sie fand, dass aus über 30000 mit Microarray-Technologie untersuchten Genen etwa 254 eine veränderte Aktivität bei Stress hatten und 1275 bei Depression, wobei lediglich fünf Gene in beiden Sammlungen identisch waren.
„Diese Überlappung ist kaum von Bedeutung, ein sehr niedriger Prozentsatz“, stellt Redei fest. „Diese Ergebnisse zeigen eindeutig, dass zumindest in einem Tiermodell chronischer Stress auf molekularer Ebene nicht die gleichen Veränderungen auslöst wie Depression.“
Antidepressiva behandeln Stress und nicht Depression
Die meisten Tiermodelle, die Wissenschaftler zum Testen von Antidepressiva benutzen, beruhen auf der Hypothese, dass Stress Depression verursacht. „Sie stressen die Tiere und beobachten ihr Verhalten“, sagt sie. „Dann beeinflussen sie das Verhalten der Tiere mit Medikamenten und sagen „OK, das werden gute Antidepressiva sein.“ Dabei behandeln sie gar nicht Depression – sie behandeln Stress.“
Das ist einer der Hauptgründe, warum die heute erhältlichen Antidepressiva nicht gerade gut funktionieren, bemerkt Redei. Sie untersucht nun die Gene, die sich bei depressiven Ratten anders verhalten, um sie auf mögliche Ziele für die Entwicklung neuer Medikamente einzugrenzen.
Ein zweiter Grund, meint sie, warum die Antidepressiva von heute oft nicht wirken, ist, dass sie die Wirkung von Neurotransmittern verstärken sollen. Das liegt an der gängigen molekularen Erklärung für Depression, nämlich dass sie durch einen verminderten Spiegel der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verursacht wird. Aber das stimmt nicht, sagt Redei.
Medikamente zielen auf die falschen Moleküle
Im zweiten Teil der Studie fand Redei deutliche Hinweise darauf, dass die Erkrankung in Wirklichkeit schon sehr früh in einer Kette von Ereignissen im Gehirn von Patienten mit Depression beginnt. Die ersten biochemischen Veränderungen, die schließlich zur Depression führen, treten bereits bei der Entwicklung von Nervenzellen und ihren Funktionen auf.
„Die medikamentöse Behandlung hat sich auf die Wirkung und nicht die Ursache konzentriert“, sagt sie. „Deshalb dauert es so lange, bis sie wirkt, und bei so vielen Menschen gar nicht.“
Ihr Tiermodell für Depression zeigte keine dramatischen Unterschiede bei der Aktivität von Genen, die die Funktion von Neurotransmittern kontrollieren. „Wenn es einen Zusammenhang zwischen Depression und der Aktivität von Neurotransmittern gäbe, hätten wir das gesehen“, sagt sie.
Ähnlichkeiten des Gehirns bei Menschen und Nagetieren
Ihre Ergebnisse bei depressiven Ratten, meint sie, lassen sich sehr wahrscheinlich auch auf Menschen übertragen.
„Diese Gehirnregionen sind bei Mensch und Nager auffallend ähnlich“, erklärt Redei. „Der Hippocampus und die Amygdala gehören zu den ältesten Teilen des Gehirns, die lebenswichtige Emotionen und Verhaltensweisen kontrollieren und auch bei primitiven Organismen gleich sind.“
Quelle:
Northwestern University, 23.10.09
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Weitere Links:
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Zur Praxis für Psychotherapie in München
Rubrik: Depression
Tags: Antidepressiva, Genetik, Neurotransmitter
Susanne Hofmann Biofeedback
Oktober 17th, 2012
Echt interessante Studie. Danke für deine Übersetzung und Zusammenfassung.
Anti - Psychiatrie
April 26th, 2014
Naja,schön wär´s ,wenn man mal endlich weg von diesem nun über Jahrzehnte und länger verbreiteten Irrtum einer biologischen Ursache wegkäme…. Zweifel und Kritik mehrt sich zum Glück!
Die ganze Historie der Psychiatrie ist doch eine einzige Mißerfolgsgeschichte und hat den Menschen bisher viele Qualen bereitet!
Psychotherapeutische Erklärungsmodelle sind m.E. auf der richtigen Spur. Es ist doch bereits alles erkannt worden.
Von erlernter Hilflosigkeit (Seligmann) bishin zu/m unterdrückter Wut, dysfunktionalen Konfliktlösungen bestimmter Reifunsschritte, Abhängikeitsproblemen, Sich- nicht – abgrenzen können, Kommunikationsstörungen, Erlernen gewaltfreier Kommunikation zur Konfliklösung/besseren Bedürfniserfüllung (evtl. an vorderste Stelle), Selbstwertproblemen u.v.m.
Vermutlich wäre auch mehr menschliche Hilfe von Vorteil, um jemanden mit einem völlig zusammengebrochenen Leben erstmal auf die Beine zu helfen. (Meistens kommt da ja vieles zusammen; von Schulden bis Jobverlust etc.) Weg von der Fixierung auf auf das Subjekt. Auch diese Sichtweise kann wohl nur einer biologischen und keiner sozialen Theorie entspringen…