Lässt sich von der Persönlichkeit des Kindes auf späteres Verhalten im Erwachsenenalter schließen?
Im Alltag versuchen wir ständig, das Verhalten von Menschen vorherzusagen, die wir kennen. Die Erfolgsquote ist variabel, und das Ergebnis reicht von kleinen Enttäuschungen bis zum Börsencrash. Amerikanische Psychologen haben nun gezeigt, dass solche Vorhersagen doch recht zuverlässig möglich sind. Wir haben die Presseerklärung der Universität zu der Studie von voriger Woche übersetzt, die zeigt, wie stabil die Persönlichkeit von Menschen ist:
Persönlichkeitsmerkmale, die man schon in der Kindheit beobachten kann, sagen mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus, wie sich ein Mensch im Erwachsenenalter verhalten wird. Das zeigt eine Untersuchung von Forschern an der University of California (UC), Riverside, dem Oregon Research Institute und der University of Oregon in den USA. Die Studie wird in einer der nächsten Ausgaben des Fachjournals Social Psychological and Personality Science erscheinen.
Die Studie beruht auf den Daten einer Untersuchung aus den Sechzigerjahren an etwa 2400 Grundschulkindern unterschiedlicher ethnischer Herkunft in Hawaii. Damals hatten Lehrer die Persönlichkeit ihrer Schüler beurteilt. Die Forscher verglichen diese Einschätzungen der Lehrer mit Videoaufnahmen von Interviews mit 114 dieser Menschen vierzig Jahre später.
Die Ergebnisse waren überraschend, sagt Christopher S. Nave, ein Doktorand an der UC Riverside und erster Autor der Studie mit dem Titel „Über die Unabhängigkeit der Persönlichkeit von äußeren Umständen: Beurteilungen von Lehrern sagen direkt beobachtetes Verhalten vier Jahrzehnte später voraus.”
„Wir bleiben als die gleiche Person erkennbar”, sagt Nave. „Das zeigt, wie wichtig es ist, eine Persönlichkeit zu verstehen, denn sie bleibt uns erhalten, wohin wir auch gehen, durch alle Lebensphasen und -umstände.”
Die Forscher untersuchten vier Persönlichkeitseigenschaften – Sprachgewandtheit, Anpassungsfähigkeit, Impulsivität und Zurückhaltung. Die Ergebnisse zeigten:
• Kinder, die als sprachgewandt identifiziert wurden – definiert als ungezügelte Schwatzhaftigkeit – zeigten als Erwachsene mittleren Alters Interesse an intellektuellen Fragen und hatten eine flüssige Sprache. Sie versuchten, die Situation zu kontrollieren, und wirkten überdurchschnittlich intelligent. Kinder, die nach Einschätzung ihrer Lehrer wenig sprachgewandt waren, suchten als Erwachsene Rat, sie gaben bei Schwierigkeiten schnell auf und waren ungeschickt im Umgang mit anderen.
• Kinder, die als sehr anpassungsfähig eingeschätzt wurden – definiert als neue Situationen leicht und erfolgreich meistern können – wirkten als Erwachsene mittleren Alters fröhlich, sie hatten eine flüssige Sprache und zeigten Interesse an intellektuellen Fragen. Menschen, die im Kindesalter als wenig anpassungsfähig eingeschätzt wurden, waren als Erwachsene selbstkritisch, sie suchten Rat und waren ungeschickt im Umgang mit anderen.
• Schüler, die als impulsiv eingeschätzt wurden, redeten als Erwachsene laut, sie zeigten sich an vielen Dingen interessiert und waren gesprächig. Menschen, die als wenig impulsiv eingeschätzt wurden, waren als Erwachsene ängstlich oder schüchtern, sie hielten andere auf Distanz und wirkten unsicher.
• Kinder, die von ihren Lehrern als zurückhaltend eingeschätzt wurden – definiert als bescheiden, die eigene Wichtigkeit herunterspielen oder niemals angeben – zeigten als Erwachsene Schuldgefühle, sie suchten Bestätigung, waren selbstkritisch und wirkten unsicher. Leute, die als nicht zurückhaltend eingeschätzt wurden, redeten als Erwachsene laut, sie zeigten Interesse an intellektuellen Fragen und wirkten herablassend.
„Wir glauben, dass die Persönlichkeit im Wesen eines Menschen liegt”, sagt Nave. „Sie ist ein Teil von uns selbst, ein Teil unserer Biologie. Zwar beeinflussen Ereignisse im Leben unser Verhalten, aber wir müssen auch die Bedeutung der Persönlichkeit anerkennen, wenn wir späteres Verhalten verstehen wollen.”
Weitere Untersuchungen werden Aufschluss darüber geben, wie sehr „die Persönlichkeit eines Menschen sein späteres Leben beeinflusst.” Außerdem werden sie uns „helfen zu verstehen, wie die Persönlichkeit und das Verhalten von Menschen zusammenhängen und untersuchen, inwieweit wir unsere Persönlichkeit verändern können.”
Quellen:
UCR Newsroom, 3.8.10
Nave et al. Social Psychological and Personality Science, 2010
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Rubrik: Kinder & Jugendliche, Mensch & Gruppe
Tags: Entwicklung, Genetik & Umwelt, Persönlichkeit, Schule, Verhaltensforschung