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Sollten Menschen mehr über ihren Tod nachdenken?

16. Mai 2012

Wie verändert sich das Selbstwertgefühl über die Zeit sFür viele Menschen sind Tod und Sterben ein Tabuthema, über das sie nicht gerne reden oder auch nur nachdenken. Eine neue Studie hat untersucht, wie Leute reagieren, wenn sie an den Tod erinnert werden. Wir haben die Presseerklärung des Herausgebers der Studie von Ende April übersetzt, die zeigt, dass sich Menschen angesichts des Todes vernünftiger und „netter“ verhalten:

Über den Tod nachzudenken kann für Menschen etwas Gutes sein. Das Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit kann die körperliche Gesundheit verbessern und Menschen helfen bei ihren Zielen und Werten neue Prioritäten zu setzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Analyse wissenschaftlicher Veröffentlichungen der letzten Jahre. Sogar wenn man nicht bewusst über den Tod nachdenkt – sondern z. B. an einem Friedhof vorbeigeht – kann das positive Veränderungen auslösen und die Hilfsbereitschaft anderen gegenüber fördern.

Frühere Studien kamen zu dem Schluss, dass das Nachdenken über den Tod etwas Destruktives und Gefährliches ist, das alle möglichen Folgen haben kann, von Vorurteilen über Habgier bis zu Gewalt. Diese Studien standen im Zusammenhang mit der Terror-Management-Theorie (TMT), die besagt, dass Menschen an bestimmten kulturellen Überzeugungen festhalten, um mit dem Gefühl der Sterblichkeit besser umgehen zu können. Aber den potenziellen Nutzen des Bewusstseins für den Tod haben sie kaum untersucht.

„Diese Tendenz der TMT-Forschung sich in erster Linie mit negativen Haltungen und schädlichen Verhaltensweisen zu beschäftigen hat sich in unserem Arbeitsfeld so etabliert, dass in letzter Zeit manche behauptet haben das Bewusstsein für den Tod sei nichts als eine finstere Macht sozialer Zerstörung“, sagt Kenneth Vail von der University of Missouri, der erste Autor der neuen Studie, die in der Aprilausgabe des Journals Personality and Social Psychology Review online veröffentlicht wurde. „Wir wissen aber nicht viel darüber, wie uns das Bewusstsein für den Tod im Alltag zu Haltungen und Verhaltensweisen motivieren kann, die Schaden von uns und anderen abwenden und unser Wohlbefinden fördern können.“

Um ein neues Modell zu entwerfen, wie Menschen über ihre eigene Sterblichkeit denken, analysierten Vail und seine Mitarbeiter eine größere Anzahl neuerer Untersuchungen zu diesem Thema. Sei fanden zahlreiche Beispiele für Labor- und Feldversuche, die zeigen, dass Dinge, die uns auf natürliche Weise an unsere Sterblichkeit erinnern, auch eine positive Seite haben.

Zum Beispiel weist Vail auf eine Studie von Matthew Gailliot und Mitarbeitern aus dem Jahre 2008 im Personality and Social Psychology Bulletin hin, in der die Autoren untersuchten, ob physisch einfach nur in der Nähe eines Friedhofs zu sein einen Einfluss auf unsere Bereitschaft hat einem Fremden zu helfen. „Die Forscher stellten die Hypothese auf, wenn Menschen der kulturelle Wert der Hilfsbereitschaft deutlich gemacht wird, dann sollte sie ein stärkeres Bewusstsein für den Tod motivieren hilfsbereiter zu handeln“, sagt Vail.

Die Forscher beobachteten Menschen, die entweder über einen Friedhof gingen oder einen Häuserblock weiter weg waren, wo sie den Friedhof nicht sehen konnten. An beiden Stellen unterhielten sich Schauspieler in der Nähe der Testpersonen darüber, wie wichtig es ist anderen zu helfen oder über ein Kontrollthema. Wenige Augenblicke später ließ eine dritte Schauspielerin ihr Notizbuch fallen. Dann testeten die Forscher, wie viele Leute in beiden Situationen der Fremden halfen.

„Wenn deutlich gemacht wurde, wie wichtig es ist anderen zu helfen, war die Anzahl der Testpersonen, die der Schauspielerin mit ihrem Notizbuch halfen, auf dem Friedhof 40 Prozent höher als einen Häuserblock weiter weg“, sagt Vail. „Andere Feldversuche und streng kontrollierte Laborversuche haben dieses und ähnliche Ergebnisse bestätigt. Solche Studien zeigen, dass ein Bewusstsein für den Tod Menschen motivieren kann mehr Toleranz, Fairness, Mitleid, Einfühlsamkeit und Pazifismus zu zeigen.“

Zum Beispiel zeigte eine Studie von Immo Fritsche von der Universität Leipzig und seinen Mitarbeitern aus dem Jahre 2010, wie ein stärkeres Bewusstsein für den Tod Menschen zu einem umweltverträglichen Verhalten motivieren konnte, wenn man ihnen umweltbewusste Normen deutlicher machte. Und eine Studie von Zachary Rothschild von der University of Kansas und Mitarbeitern aus dem Jahre 2009 zeigte, wie ein erhöhtes Bewusstsein für den Tod amerikanische und iranische religiöse Fundamentalisten motivieren konnte sich Mitgliedern anderer Gruppen gegenüber friedlich und barmherzig zu verhalten, wenn religiöse Texte die Bedeutung dieser Werte deutlich machten.

Über den Tod nachzudenken kann auch die Gesundheit eines Menschen fördern. Neuere Studien haben gezeigt, dass sich Menschen, wenn sie an den Tod erinnert werden, gesundheitsbewusster verhalten können, zum Beispiel mehr Sonnencreme benutzen, weniger rauchen oder mehr Sport treiben. Eine Studie von D. P. Cooper und Mitarbeitern aus dem Jahre 2011 zeigte, dass Erinnerungen an den Tod Frauen in ihrem Vorsatz bestärkten ihre Brüste zu untersuchen, nachdem man ihnen erklärt hatte, dass solche Selbstuntersuchungen eine Form der Selbstbestimmung sind.

Eine wichtige Schlussfolgerung aus diesen Arbeiten ist, sagt Veil, dass wir „unsere Aufmerksamkeit und Forschung darauf richten sollten zu untersuchen, wie die Motivationen, die das Bewusstsein für den Tod auslöst, das Leben von Menschen verbessern können und nicht nur, wie sie zu sozialen Übeln und Konflikten führen können.“ Abschließend schreiben die Autoren: „Der Tanz mit dem Tod kann ein schwieriger aber potenziell eleganter Schritt hin zu einem besseren Leben sein.“

Quellen:

Society for Personality and Social Psychology, 24. April 2012

Vail et al. Personality and Social Psychology Review, April 2012

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Rubrik: Alter, Mensch & Gruppe
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3 Kommentieren

  1. Peter W
    Juni 8th, 2012

    Der „Schrecken“ vor den Augen hilft also, sozialer und gesünder zu leben. Sehr interessant. Das sollte vielleicht auch im Hinterkopf behalten werden, wenn es um Warnfotos geht, wie auf Zigarettenschachteln. Vielleicht sollte man sowas in dieser Art auch mal bei ungesunden Lebensmitteln andenken.

  2. Die kreative Kraft des Todes | integral.blog
    Juni 11th, 2012

    […] ein paar Wochen fand ich den Artikel “Sollten Menschen mehr über ihren Tod nachdenken?“. Dort las ich für mich überraschend, dass in der Wissenschaft erst seit kurzem davon […]

  3. Dr. Andreas Zeuch
    Juni 11th, 2012

    Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Ich war tatsächlich überrascht, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod NEGATIVE Folgen haben kann oder sogar soll. Aus meiner eigenen psychotherapeutischen und unternehmensberaterischen Tätigkeit heraus habe ich vollkommen andere Erfahrungen gemacht.

    Ihr Artikel hat mich zu einem eigenen Artikel in meinem „integral.blog“ inspiriert:

    „Die kreative Kraft des Todes“ – über die positiven Wirkungen der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod in Wirtschaft und Arbeit.

    http://bit.ly/MAUz4l

    Herzliche Grüße
    Andreas Zeuch

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