Können Selbstmordgedanken ansteckend sein?
Nach der Veröffentlichung von Goethes „Leiden des jungen Werthers“ im Jahr 1774 kam es zu einer Welle von Selbstmorden. Auch der Selbstmord Marilyn Monroes hatte diesen Effekt. Eine neue Studie hat die Ansteckungsgefahr, die von Selbstmordgedanken bei Jugendlichen ausgeht, genauer untersucht. Wir haben einen Presseartikel über die Studie vom Mai übersetzt, deren Autoren fordern die Präventionsmaßnahmen für suizidgefährdete Jugendliche neu zu überdenken:
Selbstmord kann ansteckend sein, besonders unter Teenagern. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie, die jetzt im Canadian Medical Association Journal (CMAJ) veröffentlicht wurde.
Die Untersuchung zeigt, dass der Selbstmord eines Menschen einen Einfluss auf das Denken oder Handeln eines anderen Menschen haben kann, der selbstmordgefährdet ist. Dieser Effekt ist besonders bei Jugendlichen in der frühen Pubertät zu beobachten.
Außerdem, so stellten die Forscher fest, müssen die Teenager das Selbstmordopfer nicht unbedingt persönlich kennen, um selbst auf Suizidgedanken zu kommen oder einen Selbstmordversuch zu unternehmen.
Dr. Ian Colman, Professor für Epidemiologie psychischer Erkrankungen an der Abteilung Epidemiologie und Sozialmedizin der University of Ottawa in Kanada, sagt:
„Wenn jemand stirbt, besonders bei einem jungen Menschen, wird der Tote von Menschen, die ihm nahestanden, in den Medien und sozialen Medien in sehr glühenden, romantischen Farben geschildert. Oft wird erwähnt, was für ein schönes Kind der Tote war.
Dass Leute so etwas sagen, wenn ein Kind stirbt, ist normal. Aber es kann gefährlich werden, wenn von Selbstmord die Rede ist. Wenn andere gefährdete junge Menschen das lesen oder hören, sehen sie die Berichte darüber, wie wunderbar dieser Mensch war, und wünschen sich, dass ihre Freunde und Verwandten genauso für sie empfinden.“
Eine frühere Studie hat gezeigt, dass das Risiko für Teenager einen Selbstmordversuch zu begehen in den zwei Jahren am höchsten ist, nachdem ein Elternteil versucht hat sich das Leben zu nehmen oder wegen einer psychischen Erkrankung stationär behandelt wurde.
Für ihre neuste Studie sammelten und analysierten die Experten Daten von mehr als 22000 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren, die an der Studie teilnahmen.
Die Ergebnisse zeigten, dass bei Zwölf- bis Dreizehnjährigen, die mit einem Selbstmord konfrontiert worden waren, das Risiko für Selbstmordgedanken oder einen eigenen Selbstmordversuch um den Faktor fünf erhöht war.
Als die Forscher analysierten, welche Rolle es spielt, ob die Jugendlichen den Verstorbenen persönlich kannten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, dass dieser Faktor kaum einen Einfluss auf die Statistik hatte.
Je älter die Teenager wurden, desto geringer schien dieser Einfluss zu werden, schreiben die Autoren. Vierzehn- bis Fünfzehnjährige, die einen Selbstmord miterlebt hatten, machten dreimal häufiger einen Selbstmordversuch oder hatten Selbstmordgedanken, und bei Sechzehn- bis Siebzehnjährigen war das Risiko um den Faktor zwei erhöht.
Diese Ergebnisse sind von praktischer Bedeutung für Experten für psychische Gesundheit, die auf dem Gebiet der Prävention arbeiten.
Dr. Colman sagt:
„Diese Ergebnisse sprechen klar für die Ansteckungshypothese des Selbstmords, besonders bei Jugendlichen in der frühen Pubertät. Sie sprechen sicherlich für Maßnahmen, die auf ganze Schulen abzielen, im Gegensatz zu Maßnahmen für Hochrisikogruppen, die lediglich auf die Freunde des Verstorbenen gerichtet sind.“
Dieser Forschungsbericht hebt die unbeabsichtigten, aber tragischen Folgen hervor, die es haben kann, wenn einzelnen Fällen von Selbstmord in der Öffentlichkeit zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Es ist besonders wichtig die Strategien noch einmal neu zu bewerten, die heute verfolgt werden, um Programme für die psychische Gesundheit zu fördern und zu entwickeln, schreiben die Autoren.
Eine Studie, die früher in diesem Jahr erschien, zeigt, dass die meisten suizidgefährdeten Teenager trotz ihrer Behandlung weiter versuchen Selbstmord zu begehen. Mit anderen Worten, sie erhalten nicht die richtige Behandlung.
Quellen:
Medical News Today, 22. Mai 2013
Swanson & Colman. Canadian Medical Association Journal, Mai 2013
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Rubrik: Kinder & Jugendliche, Medienkonsum, Mensch & Gruppe
Tags: Prävention, Risikofaktor, Rollenmodell, Schule, soziales Netzwerk