Kann man Angststörungen im Gehirn „sehen”?
In einer neuen Studie haben Neurowissenschaftler gezeigt, dass bei Patienten mit allgemeinen Angststörungen die Aktivität bestimmter Gehirnregionen verändert ist. Manche dieser Regionen haben Funktionen, die Symptome wie irrationale Ängste oder Herzrasen erklären können. Studien dieser Art machen sichtbar, wie real psychische Probleme sind, die ein Patient nur schildern kann. Ich habe einen Presseartikel von voriger Woche übersetzt, der die Ergebnisse der Studie genauer beschreibt:
Eine aktuelle Studie untersuchte die Funktion von Nervenverbindungen im Gehirn von Patienten mit allgemeinen Angststörungen (GAD) und zeigte eine unnormale Funktion in Teilen der Amygdala, einer Gehirnregion. Weiter stellten die Forscher eine unnormale Aktivierung eines Netzwerks von Nerven in Regionen des Großhirns fest, die hinter der Stirn und über den Ohren liegen. Die Aktivierung dieses Netzwerks könnte bei Patienten zur Steuerung ihres unnormalen Verhaltens mit beitragen aber auch die Veränderungen in der Amygdala teilweise ausgleichen. Diese Untersuchungsergebnisse, die in der Dezemberausgabe der Archives of General Psychiatry veröffentlicht sind, bestätigen Theorien der Hirnforschung über die Wahrnehmung bei Patienten mit GAD.
Dr. Amit Etkin, der an der Stanford University School of Medicine in Kalifornien eine Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie macht, und seine Kollegen untersuchten in ihrer Studie, ob sich GAD an charakteristischen Mustern von Nervenverbindungen in Teilregionen der Amygdala erkennen lässt. Die Amygdala liegt am Boden des Gehirns und besteht aus zwei Nervenbündeln, die die Form von Mandeln haben und paarig angeordnet sind. Die Amygdala ist an der Verarbeitung von Emotionen wie Furcht und am Gedächtnis beteiligt. Bei ihrer Untersuchung konzentrierten sich die Forscher auf die beiden Teilregionen, die in der Amygdala „basolateral” (BLA, unten) und „zentromedial” (CMA, oben) liegen.
Insgesamt 33 Testpersonen nahmen an der Studie teil, sechzehn Patienten mit GAD und siebzehn psychologisch gesunde Menschen, die zur Kontrolle untersucht wurden. Die Studienteilnehmer ließen ihre Gedanken schweifen, während sie einen achtminütigen „funktionellen MRT-Scan” hatten. Bei diesem Verfahren befindet sich die Testperson in einer Röhre mit einem magnetischen Feld, und Veränderungen der Aktivität in verschiedenen Gehirnregionen werden auf Bildern (Scans) sichtbar gemacht, die Unterschiede des Blutflusses im Gehirn anzeigen.
Die Autoren konzentrierten sich bei der Auswertung der Scans auf die BLA- und CMA-Regionen der Amygdala. Die Scans der Kontrollgruppe zeigten den Normalzustand des Gehirns, bei dem die BLA-Region in Verbindung mit Gehirnregionen steht, die für die anfängliche und weitere Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen, emotionalen und geistigen Funktionen zuständig sind. Die CMA-Region hat aktive Nervenverbindungen mit dem Mittelhirn, dem Thalamus und dem Kleinhirn. Diese Teile des Gehirns kontrollieren den Informationsfluss, koordinieren Bewegungen und regulieren die Aufmerksamkeit, die Herzfrequenz und die Atmung. Außerdem setzen sie Neurotransmitter (Botenstoffe) wie Serotonin und Dopamin frei.
Auf den Scans der Amygdala von GAD-Patienten fanden die Autoren zwei wesentliche Unterschiede zu gesunden Testpersonen. Die Amygdalaregionen der GAD-Patienten hatten weniger aktive Verbindungen zu der Gehirnregion, die bestimmt, welche Reize ein Mensch als wichtig oder unwichtig wahrnimmt. Dafür hatten sie aktivere Verbindungen zu einem Netzwerk von Nerven im Großhirn, das für die geistige Kontrolle über Emotionen zuständig ist.
„Die basolaterale Amygdala hatte weniger aktive Verbindungen mit all ihren normalen Zielregionen aber dafür mehr mit zentromedialen Zielgebieten”, sagt Etkin. „Und die zentromediale Amygdala hatte weniger aktive Verbindungen mit ihren normalen Zielregionen aber dafür mehr mit basolateralen Zielregionen.”
Damit hatte die Analyse der Nervenverbindungen der Amygdala zu bestimmten Gehirnregionen gezeigt, welche Regionen zusammenarbeiten, und wie sich die Funktion der Amygdala bei GAD-Patienten und gesunden Menschen unterscheidet. Die Autoren meinen, dass die beobachteten Unterschiede der Nervenverbindungen erklären könnten, warum Menschen mit GAD zwanghafte und überwältigende Emotionen und Sorgen haben.
Etkin und seine Kollegen meinen, dass künftige Studien dieser Art mögliche Zusammenhänge zwischen GAD und Depression untersuchen sollten.
Quellen:
HealthImaging, 8.12.09
Etkin et al. Archives of General Psychiatry, 7.12.09
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Rubrik: Angst- & Panikstörung, Hirnforschung
Tags: fMRT, Gehirnaktivität, klinische Studie, neuronales Netzwerk, Neurophysiologie