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Kann Angst vor der Angst zu einer Depression führen?

6. Dezember 2009

Das Krankheitsbild von Angstsensitivität ist vielseitig, sehr subjektiv und daher schwer zu untersuchen. In einer aktuellen Studie haben amerikanische Wissenschaftler detaillierte Selbsteinschätzungen von Patienten ausgewertet und einen Zusammenhang zwischen Angstsensitivität und Depression gezeigt. In ihrer Pressemitteilung, die ich hier übersetzt habe, meinen die Forscher, die Ergebnisse eröffnen Möglichkeiten zu neuen Ansätzen für die Therapie:

Angstsensitivität oder eine Furcht vor Angstgefühlen könnte bei Menschen, die sich ohnehin schon überdurchschnittlich viele und starke Sorgen machen, das Risiko für die Entwicklung einer Depression erhöhen, meinen Forscher der Pennsylvania State University. Wenn wir verstehen, wieso eine unnormal starke Reaktion auf Angst einen Risikofaktor für Depression darstellt, könnte Angstsensitivität vielleicht zu einem künftigen Ziel für die Behandlung von Depression werden.

„Man hat Angstsensitivität auch als eine Angst vor der Angst bezeichnet“, sagt Andreas Viana, der erste Autor der Studie und Doktorand der Psychologie an der Pennsylvania State University. „Menschen mit Angstsensitivität haben Angst vor ihrer Angst, weil nach ihrer Interpretation etwas Katastrophales passieren wird, wenn ihre Angstempfindungen in ihnen aufkommen.“

Für die Untersuchung beantworteten Studienteilnehmer mehrere psychologische Fragebögen. Bei der Auswertung der Antworten machten die Forscher Kontrollen für die Stärke von Sorgen und allgemeine Symptome von Angststörungen. Die Ergebnisse zeigten, dass bei überdurchschnittlich stark besorgten Menschen eine Angstsensitivität Symptome von Depression mit hoher statistischer Sicherheit vorhersagte. Außerdem erlaubten zwei der vier Dimensionen (Arten von Ängsten), die eine Angstsensitivität ausmachen, die spezifische Vorhersage von Symptomen der Depression, nämlich die „Angst vor kognitivem Kontrollverlust“ und die „Angst vor offen sichtbaren Angstsymptomen“. Dagegen eigneten sich die dritte und vierte Dimension, die Angst vor Herz-Kreislauf-Symptomen und die Angst vor Atembeschwerden, nicht zu einer verlässlichen Vorhersage.

„Wir wollten das Verhältnis von Angstsensitivität als ganzes Krankheitsbild und Depression untersuchen“, sagt Viana. „Außerdem haben wir die verschiedenen Dimensionen der Angstsensitivität genauer untersucht, um zu sehen, welche davon mit Symptomen von Depression zusammenhängen. Einer der neuen Aspekte unserer Studie war, die Angstsensitivität bei einer Gruppe von Testpersonen mit mäßig bis stark ausgeprägten Symptomen von Besorgnis zu untersuchen.“

Viana machte die Studie gemeinsam mit Brian Rabian, Associate Clinical Professor und Direktor der psychologischen Klinik an der Pennsylvania State Universität. Die Ergebnisse erschienen in der Dezemberausgabe des Journal of Anxiety Disorders.

Den Zusammenhang zwischen Angstsensitivität und Depression untersuchten die Forscher an 94 Studienteilnehmern – 74 weiblich und 22 männlich – mit einem durchschnittlichen Alter von 19 Jahren. Alle Teilnehmer machten sich überdurchschnittliche, d.h. mäßige bis große Sorgen. Der Grad ihrer Besorgnis wurde aufgrund ihrer Antworten in zwei Fragebögen bestimmt – dem „Generalized Anxiety Disorder Questionnaire“ für Symptome von allgemeinen Angststörungen und dem „Penn State Worry Questionnaire“ für Symptome von krankhafter Besorgnis.

Viana und Rabian beurteilten eine mögliche Angstsensitivität bei jedem Teilnehmer mit einer überarbeiteten Version des „Angstsensitivitäts-Index“, einem Fragebogen mit 36 Fragen, der eine Angst vor Angstempfindungen feststellt. Dabei bewerten Teilnehmer ihre Antworten auf Fragen wie, „Wenn sich meine Gedanken mehr und mehr überschlagen, mache ich mir Sorgen, ich könnte verrückt werden“, selbst auf einer Skala von eins bis fünf. So konnten die Forscher ermitteln, ob Teilnehmer eine Angstsensitivität hatten, und vor welcher der vier Dimensionen sie am meisten Angst hatten.

„Bei Angstsensitivität reden wir wirklich über die persönliche Interpretation eines Menschen von seinen Angstsymptomen. Das kann man nur herausbekommen, indem man die Person mit einem Fragebogen um ihre Selbsteinschätzung bittet“, sagt Viana.

Schließlich ließen die Forscher die Teilnehmer das „Beck-Depressionsinventar“ ausfüllen, einen Fragebogen mit 21 Fragen zur Beurteilung von Depression. Bei diesem Test bewerteten die Teilnehmer die Stärke ihrer Empfindungen von Symptomen der Traurigkeit, Gefühle von Hoffnung oder Schuld auf einer Skala von null bis drei.

„Wir beobachteten einen Zusammenhang zwischen einer Angst vor kognitiven Empfindungen, die typisch für Angststörungen sind, wie sich nicht konzentrieren können, und Depression“, sagt Viana. „Und außerdem beobachteten wir, dass der Zusammenhang bei Menschen besteht, die Angst vor Symptomen mit möglichen sozialen Konsequenzen haben, oder vor Symptomen von Ängsten, die andere negativ beurteilen könnte.“

Da mehrere Studien einen Zusammenhang zwischen Angstsensitivität und Depression festgestellt haben, könnte Angstsensitivität ein therapeutisches Ziel sein. Gegenwärtig konzentrieren sich die meisten Depressionstherapien ausschließlich auf Symptome von Depression und nicht auf die Angstsensitivität. Viana meint, eine zukünftige Behandlung könnte eine Arbeit mit Patienten an einer veränderten Wahrnehmung von Angstempfindungen einbeziehen, indem man ihnen hilft, ihre Erfahrungen auf eine positive und weniger ängstliche Weise zu interpretieren.

Viana ist sich der Grenzen bewusst, die die Verwendung von Fragebögen in seiner Studie hat. Er meint, künftige Untersuchungen sollten Menschen mit Angstsensitivität identifizieren und sie dann beobachten, ob sie im Laufe der Zeit eine Depression entwickeln.

Quellen:

Pennsylvania State University, 1.12.09

Viana & Rabian, Journal of Anxiety Disorders 2009

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Rubrik: Angst- & Panikstörung, Depression, Kinder & Jugendliche
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