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Ist Einsamkeit ansteckend?

4. Dezember 2009

lonliness s sDie meisten Menschen haben Angst vor Ansteckung. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass auch Einsamkeit ansteckend sein kann. Da hilft nur eins – schnell die Flucht ergreifen, was dem einsamen Menschen dann aber weniger hilft. Ich habe die Pressemitteilung der Forscher übersetzt, die eine ebenso interessante wie nachdenklich stimmende gesellschaftliche Erscheinung beschreibt:

Einsamkeit kann sich, wie eine schlimme Erkältung, von einer Gruppe von Menschen auf andere ausbreiten. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Forschern an der University of Chicago, der University of California in San Diego und Harvard.

Das Team von Wissenschaftlern analysierte die Daten einer großen Langzeitstudie, die seit über 60 Jahren den Gesundheitszustand von Menschen verfolgt, und stellte fest, dass einsame Menschen ihre Einsamkeit oft an andere weitergeben. So entsteht im Laufe der Zeit eine Gruppe von einsamen Menschen, die von anderen abgesondert sind, und diese Gruppe rückt dann immer weiter in die Randbereiche sozialer Netze.

Zu dem Forscherteam gehörten John Cacioppo, Professor für Psychologie an der University of Chicago, James Fowler, Associate Professor für Politikwissenschaft an der University of California in San Diego und Nicholas Christakis, Professor für Medizin und Professor für medizinische Soziologie an der Harvard Medical School.

„Wir fanden ein außergewöhnliches Muster sozialer Ansteckung, das dazu führt, dass Menschen an den Rand des sozialen Netzes gedrängt werden, und dann vereinsamen sie”, sagt John Cacioppo, der eine der führenden wissenschaftlichen Kapazitäten in den USA auf dem Gebiet der Einsamkeit ist. „In diesem Randbereich haben Menschen weniger Freunde, aber ihre Einsamkeit führt dazu, dass sie auch die wenigen Bindungen verlieren, die ihnen noch bleiben.“

Bevor sich Beziehungen auflösen, übertragen Menschen im Randbereich das Gefühl von Einsamkeit auf ihre noch verbleibenden Freunde, die dann ebenfalls einsam werden. „Diese verstärkenden Effekte bedeuten, dass das Gewebe unseres sozialen Netzes an den Rändern ausfransen kann, wie ein Faden eines Häkelpullovers, der am Ende lose wird“, sagt Cacioppo.

Einsamkeit ist mit einer Vielzahl seelischer und körperlicher Erkrankungen verbunden, die das Leben verkürzen können. Daher, meint Cacioppo, ist es wichtig, dass Menschen Einsamkeit erkennen und diesen Leuten helfen, die Verbindung mit ihrer sozialen Gruppe aufrechtzuerhalten, bevor sich diese Einzelgänger auf die Randbereiche hinzubewegen.

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler nun in dem Artikel „Allein in der Masse: Struktur und Ausbreitung von Einsamkeit in einem großen sozialen Netz“, der in der Dezemberausgabe des Journal of Personality and Social Psychology erscheint.

Für ihre Studie untersuchte das Team die Akten der Framingham-Herzstudie, die seit 1948 an den Leuten von Framingham, einer Stadt mit 67000 Einwohnern im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts, durchgeführt wird. Die ursprüngliche Gruppe von 5209 Menschen wurde auf Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht.

Seitdem ist die Studie auf etwa 12000 Leute ausgeweitet worden und schließt nun die Kinder und Enkel der ursprünglichen Gruppe sowie andere Menschen mit ein, um eine weiter gefächerte Bevölkerungsgruppe untersuchen zu können. Außerdem werden für die Framingham-Studie inzwischen mehr Tests gemacht, darunter die Abschätzung von Werten für Einsamkeit und Depression. Die Untersuchung zur Einsamkeit konzentrierte sich auf 5124 Menschen, die zweite Generation in der Studie.

Da dies eine Langzeitstudie ist, nahmen die Forscher alle 2 bis 4 Jahre mit den Teilnehmern Verbindung auf und sammelten dabei auch die Namen von Freunden und Bekannten der Teilnehmer. Diese Aufzeichnungen wurden mit der Zeit zu einer hervorragenden Informationsquelle über die sozialen Netze der Menschen.

Die Forscher stellten den sich wandelnden Freundeskreis der Teilnehmer sowie ihre Angaben zur Einsamkeit auf Abbildungen dar, die Karten von Straßennetzen ähneln. So konnten sie die Existenz eines für die Einsamkeit typischen sozialen Kartenmusters zeigen, dass von Menschen mit wenigen engen Freunden ausgeht und sich dann weiter verbreitet. Die Daten zeigten, dass einsame Menschen andere in ihrem Umfeld mit Einsamkeit „ansteckten”, und diese Leute bewegten sich auf die Randgebiete sozialer Kreise zu.

Das Team stellte fest, dass Nachbarn, die sich nur einen Tag pro Woche öfter einsam fühlten, schon vermehrte Einsamkeitsgefühle bei unmittelbaren Nachbarn auslösten, wenn diese eng mit ihnen befreundet waren. Die Einsamkeit breitete sich in dem Maße aus, in dem die Nachbarn weniger Zeit miteinander verbrachten.

Frühere Studien haben gezeigt, dass Frauen von emotionaler Unterstützung stärker abhängig sind als Männer, und in dieser aktuellen Untersuchung gaben Frauen öfter als Männer an, dass sie sich von anderen mit Einsamkeit „ansteckten”. Dabei vereinsamten Menschen eher durch Veränderungen in den sozialen Netzen ihres Freundeskreises als durch Veränderungen ihres Familienkreises.

Die Forschung zur Einsamkeit hat auch gezeigt, dass einsamer werdende Menschen anderen immer weniger vertrauen. So entsteht ein Kreislauf, in dem es ihnen zunehmend schwerer fällt, Freundschaften zu schließen. Soziale Gruppen scheinen eine natürliche Tendenz zu haben, diese einsamen Menschen abzustoßen. Ein ähnliches Verhalten spiegelt sich in Experimenten an Affen wider, die auch dazu neigen, Mitglieder ihrer eigenen Gruppe zu vertreiben, nachdem man die Affen erst aus der Kolonie heraus genommen und dann wieder eingeführt hatte, sagt Cacioppo.

In Anbetracht dieses Verhaltensmusters ist es umso wichtiger, Einsamkeit zu erkennen und ihr entgegenzuwirken, bevor sie sich ausbreitet, sagt er.

„Die Gesellschaft könnte einen Nutzen davon haben, wenn sie aggressiv auf Menschen im Randbereich zugeht, um die Reparatur ihrer sozialen Netze zu erleichtern. So könnte sie einen Schutzwall gegen Einsamkeit schaffen, der das soziale Gefüge insgesamt vor dem Auseinanderfallen bewahrt“, sagt er.

„Frühere Studien haben gezeigt, dass Einsamkeit und fehlender sozialer Anschluss einen sehr schädigenden Einfluss auf die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden älterer Menschen haben kann“, sagt Dr. Richard Suzman, Direktor der Abteilung für Verhaltens- und Sozialforschung am National Institute on Aging, das die Studie finanzierte. „Diese wegweisende Forschung über die Verbindungen Einzelner innerhalb ihrer sozialen Netze ist ausgesprochen wichtig für die größere Frage nach dem Zusammenhang von sozialen Wechselwirkungen und Gesundheit.“

Quellen:

University of Chicago, 1. Dez 2009

Cacioppo et al. Journal of Personality and Social Psychology, 2009

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Rubrik: Mensch & Gruppe
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