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Was ist eigentlich Schmerz?

3. Juli 2016

Kennen Sie das: Sie schauen ein Spiel der Europameisterschaft und zucken bei Nahaufnahmen von Foulspielen fast zusammen, weil es nur vom Zusehen schon weh zu tun scheint? Wie kann das sein? Ist Schmerz mehr als nur das Erleben von Signalen, die auf eine körperliche Schädigung hinweisen? Und gehört es auch zum Schmerz, dass wir die Empfindungen anderer in einem gewissen Maß mitempfinden können? Diesen und ähnlichen Fragen widmet sich der Folgende Text:

Emotionen bestehen aus allgemeinen Komponenten, die auch durch ähnliche Eindrücke ausgelöst werden, und ganz spezifischen Komponenten. Frühere Studien zeigen, dass dieselben Hirnstrukturen – nämlich die anteriore Insula (Inselrinde) und der Gyrus cinguli – immer aktiviert sind, egal ob der Schmerz persönlich erfahren oder empathisch miterlebt wird.

Grimassen ziehend zucken wir zurück, wenn wir sehen, dass jemand ausversehen seinen Daumen mit einem Hammer trifft. Ist das aber wirklich Schmerz, den wir spüren? Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und andere Institute stellen nun eine Theorie vor, die Schmerz als vielschichtiges graduelles Ereignis beschreibt, das aus spezifischen Schmerzkomponenten – beispielsweise einer brennenden Empfindung in der Hand – und allgemeinen Komponenten – wie beispielsweise negativen Emotionen – besteht. Ein Vergleich der Hirnaktivitätsmuster während beider Erfahrungen kann aufdecken, welche Komponenten der empathische mit dem realen Schmerz teilt.

Stellen Sie sich vor, dass Sie bei dem Versuch, einen Nagel in die Wand zu schlagen, versehentlich Ihren Daumen treffen. Sie würden höchstwahrscheinlich Gewebe verletzen, physischen Stress spüren, all Ihre Aufmerksamkeit auf den verletzten Finger richten und dafür sorgen, dass sich das Malheure nicht wiederholt. Dies beschreibt körperliche und psychologische Manifestationen von Schmerz, genauer sogenannten nozizeptiven Schmerz, den der Körper wahrnimmt und der durch die Stimulierung der Schmerzrezeptoren verursacht wird.

Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sehen dabei zu wie sich ein Freund auf dieselbe Art und Weise verletzt. Wiederum würden Sie zusammenzucken und Schmerz fühlen, empathischen Schmerz in diesem Fall. Obwohl Sie sich keine Verletzung zugezogen haben, würden Sie in einem gewissen Ausmaß dieselben Symptome erleben: Sie fühlen sich ängstlich, Sie würden versuchen, zwischen sich und der Schmerzquelle Distanz zu schaffen und Sie würden Informationen über den Kontext der Erfahrung sammeln, um Schmerz in Zukunft vermeiden zu können.

Hirnaktivität

Frühere Studien konnten zeigen, dass dieselben Hirnstrukturen – nämlich die anteriore Insula und der cinguläre Cortex – aktiviert sind, egal ob der Schmerz persönlich oder empathisch erfahren wird. Trotz dieser Übereinstimmung in den zugrundeliegenden Hirnstrukturen bleibt das Ausmaß, in dem die zwei Schmerzarten wirklich ähnlich sind, ein kontroverser Gegenstand.

Um weiterhin Licht ins Dunkel zu werfen, haben nun Forscher des Max-Planck-Instituts für kognitive und Neurowissenschaften in Leipzig folgende Hypothese aufgestellt: „Wir müssen von der entweder-oder-Logik Abstand nehmen, ob Schmerz echt ist oder nicht.“ Stattdessen sollte er als komplexe Interaktion einer Vielzahl von Elementen angesehen werden, die zusammen die komplexe Erfahrung ausmachen, die wir Schmerz nennen. Die Elemente schließen sensorische Prozesse ein, die beispielsweise bestimmen, wo der Schmerreiz ausgelöst wurde: in der Hand oder im Fuß? Zusätzlich kommen emotionale Prozesse wie negative Gefühle während des Schmerzerlebens mit ins Spiel. Der ausschlaggebende Punkt ist, dass die individuellen Prozesse jeweils auch eine Rolle bei anderen Erfahrungen spielen, auch wenn da das gesamte Aktivierungspotential anders ist, z.B., wenn jemand an der Hand oder am Fuß gekitzelt wird, oder wenn man Fernsehbilder von leidenden Menschen sieht. Weitere Prozesse wie die Stimulierung der Schmerzrezeptoren sind wahrscheinlich hoch spezifisch schmerzbezogen. Die Neurowissenschaftler schlagen vor, die Elemente von direktem und empathischem Schmerz zu vergleichen: welche Elemente sind gemeinsam, welche sind im Gegensatz dazu spezifisch und einzig zu jeder der Schmerzformen?

Hirnareale verarbeiten allgemeine Komponenten

Eine weitere aktuelle Studie der Universität von Genf hat Beweise dieser Theorie gesammelt: sie konnten zum ersten Mal zeigen, dass während schmerzhafter Erfahrungen die Hirnregionen anteriore Insula und der Gyrus cinguli beide, allgemeine Komponenten, die auch während anderer negativer Erfahrungen wie Ekel oder Kränkung auftauchen, und spezifische Schmerzinformationen verarbeiten – sowohl wenn der Schmerz direkt als auch indirekt erlebt wird.

Die allgemeinen Komponenten signalisieren, dass eine Erfahrung wirklich unangenehm und nicht freudig ist. Die spezifischen Informationen berichten uns im Gegensatz dazu, dass Schmerz – nicht Ekel oder Kränkung – involviert ist und ob der Schmerz am eigenen Leib oder von einem anderen erlebt wird. Die für die Schmerzverarbeitung verantwortlichen Hirnstrukturen verarbeiteten parallel nicht spezifische und spezifische Informationen. Doch die Aktivitätsmuster sind unterschiedlich.

Dank der Tatsache, dass unser Gehirn mit diesen Komponenten parallel fertig wird, können wir verschiedene unangenehme Erfahrungen in zeit- und energiesparender Weise verarbeiten. Wir können jedenfalls gleicheizeitig genaue Informationen schnell wahrnehmen, so dass wir wissen welche unangenehme Erfahrung wir erlebt haben – und ob sie uns direkt oder indirekt betrifft. Die Fähigkeit dieser schnellen parallelen Wahrnehmung verschiedener Komponenten negativer Erlebnisse ist sehr wichtig für soziale Interaktionen, da sie uns dabei hilft schnell zu verstehen, was andere erleben.

Quelle: https://www.sciencedaily.com/releases/2016/03/160323115915.htm

Rubrik: Hirnforschung, Psychosomatik & Schmerzen


1 Kommentieren

  1. Lenka Maronski
    August 13th, 2016

    Hallo und guten Tag,

    dieses Thema, speziell die Beobachtung der Aktivität der Hirnareale, finde ich extrem spannend. Da entwickelt sich etwas, was unsere übliche materielle Sichtweise des Lebens grundsätzlich in Frage stellt. Bitte mehr davon. Danke. 🙂

    LenkaLenka

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