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Sehen wir uns selbst und die, die wir lieben, durch eine rosarote Brille?

15. Februar 2018

Oft wird einem erst im Kontakt mit anderen bewusst, dass es schwierig ist, von der einen Wirklichkeit zu sprechen. Andere erleben die Welt meist anders als man selbst, weil jeder ein Stück weit die Wahrnehmung der eigenen Welt konstruiert. In der Psychologie werden bestimmte unbewusste immer wieder kehrende Tendenzen, die Welt in einer bestimmten Weise zu interpretieren auch kognitive Verzerrungen genannt. Eine prominente davon ist z.B. der Bestätigungsfehler (confirmation bias), d.h. dass Menschen dazu neigen, die Informationen in der Umwelt auszuwählen, die ihre Erwartungen bestätigen. In der folgenden Studie geht es um die Tendenz, die eigene Zukunft und die geliebter Personen besonders optimistisch einzuschätzen.

Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass wir unser eigenes Leben und das von Personen, die uns was bedeuten, durch die rosarote Brille sehen.

Die Studie, die als erste zeigen konnte, dass ein solcher optimistischer Einschätzungsfehler sich über uns selbst hinaus erstreckt, fand heraus, dass Personen ihre Meinung über geschätzte Menschen schnell änderten, wenn sie Gutes über sie hörten, aber ihre Meinung nur schwer änderten, wenn sie Schlechtes von den jeweiligen hörten. Es wurde außerdem herausgefunden, dass dieser stellvertretende Optimismus im Lernverhalten gegenüber anderen noch stärker war, je mehr den Personen eine andere Person bedeutete, doch er zeigte sich sogar gegenüber Fremden.

Um zu erforschen wie weit diese optimistische Wahrnehmungsverzerrung reicht, verwendeten die Forscher einen Mechanismus, der als „gute Nachricht/schlechte Nachricht“-Effekt bekannt ist, der unseren Optimismus erzeugt und schützt.

Im Alltag ändern wir manchmal unsere Einstellungen über uns selbst basierend auf neuen Informationen, die wir erhalten. Zum Beispiel aktualisieren wir unsere Einstellungen, wenn uns gesagt wird, dass wir intelligenter sind als wir dachten. Doch wenn wir hören, dass wir weniger intelligent sind als wir dachten – schlechte Nachrichten also– ändern wir nichts. Diese Wahrnehmungsverzerrung beim Lernen scheint von dem Wunsch abzustammen, uns gut zu fühlen in Bezug auf uns selbst und unsere Zukunft.

Allerdings wollen wir uns auch gut in Bezug auf die Zukunft von Menschen fühlen, die wir gern haben. Schlechte Nachrichten in Bezug auf Menschen, an denen uns etwas liegt, fühlen sich furchtbar an. Wir verhindern möglicherweise sogar, dass solche Informationen in unsere Einstellungen über diese Menschen integriert werden. Dieser „gute Nachricht/schlechte Nachricht“-Effekt sagt auch etwas darüber aus, wie viel jemand einem anderem bedeutet, denn je mehr uns jemand bedeutet, desto eher werden wir gute Nachrichten über diese Person akzeptieren und schlechte Nachrichten zurückweisen.

Um zu testen, ob sich eine Optimismusverzerrung auch über das eigene Selbst hinaus erstreckt, untersuchten die Wissenschaftler mehr als 1100 Teilnehmer in fünf Studien. Bei jeder dieser Studien stellten sich die Probanden vor wie anderen Menschen eine Reihe negativer Lebensereignisse passieren, wobei die vermeintlich Betroffenen unterschiedlich nahen Personengruppen von Freunden bis zu Fremden zugehören sollten.

Die Probanden stellten sich beispielsweise vor wie einem Freund etwas Schlechtes passiert (z. B. den Koffer verlieren, an Krebs erkranken, ein wichtiges Treffen verpassen…). Im Anschluss wurden sie befragt für wie wahrscheinlich sie dieses Ereignis halten. Zuletzt wurde ihnen die tatsächliche (statistische) Wahrscheinlichkeit mitgeteilt.

Manchmal war diese Information positiv, da die Wahrscheinlichkeit geringer war als von den Probanden vermutet. Manchmal war diese Information negativ, weil sich die Wahrscheinlicher höher als erwartet zeigte. Um zu testen, wie Menschen positive und negative Tatsachen verwenden, um ihre Einstellungen über die andere Person zu ändern, wurde den Probanden eine zweite Chance gegeben, um die schon in der ersten Runde offengelegte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, das einem Freund geschieht, anzupassen. Die Differenz zwischen deren Einschätzung vor und nach der Information über die tatsächliche Wahrscheinlichkeit wird als Index für eine Einstellungsänderung hergenommen.

Es stellte sich heraus, dass sich die Optimismusverzerrung tatsächlich über das Selbst hinaus erstreckt. Außerdem war dieser Effekt stärker, je mehr die Probanden eine andere Person mochten. Wenn die Studienteilnehmer beispielsweise zuerst die Information erhielten, dass ein für sie Fremder ein guter Mensch sei, dann zeigten sie in der Folge stellvertretenden Optimismus für diese Person. Wenn sie allerdings lasen, dass der Fremde kein guter Mensch sei, verringerte sich der stellvertretende Optimismus wesentlich für diese Person. Und zuletzt stellte sich heraus, dass, je ausgeprägter der stellvertretende Optimismus für einen Fremden war, desto eher waren die Probanden dazu geneigt, Menschen zu helfen, die diesem Fremden ähnelten.

Diese Forschungsergebnisse zeigen, dass wir nicht nur unser Leben durch die rosarote Brille sehen, sondern auch das Leben der Menschen, die uns etwas bedeuten. Die Studienteilnehmer zeigten stellvertretenden Optimismus, wenn sie sich Effekte von Ereignissen vorstellten, die andere geliebte Menschen betreffen, wobei sie ihre Einstellungen als Antwort weniger auf schlechte Nachrichten verändern als auf gute Nachrichten. Interessanterweise war diese Wahrnehmungsverzerrung nicht nur in Bezug auf Freunde zu beobachten, sondern auch bei Fremden, zu deren Zukunft sie Informationen erhielten. Diese Studie legt nahe, dass Empathie einen Einfluss darauf hat, wie wir lernen und auch wie wir Entscheidungen treffen. Menschen mit stärkerem stellvertretenden Optimismus für Fremde waren eher dazu bereit, einem Fremden in Not zu helfen. Anteilnahme an anderen hinterlässt ihre Fingerabdrücke auf Einstellungen, die wir in Bezug zur Welt entwickeln.

 

Quelle:            https://www.sciencedaily.com/releases/2018/02/180202112659.htm

Rubrik: Allgemeines, Mensch & Gruppe


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