Ist ein Lächeln wirklich ansteckend?
„Ein Lächeln erfreut mindestens zwei, den Schenkenden und den, der es erhält.“ Dieser alte Poesiealbumsspruch gewinnt eine ungeahnte Tiefe, wenn man sich die dahinterliegenden Prozesse genauer ansieht. In erster Linie denkt man an die Tatsache, dass es erfreulich ist, wenn einem ein anderer freundlich gesinnt ist und positive Aufmerksamkeit schenkt. Dazu kommt, dass Forscher herausfanden, dass man den Ausdruck des Gegenübers innerlich in mehr oder weniger starkem Ausmaß nachahmt, also, dass die Hirnstrukturen, die bei einem eigenen Lächeln aktiv sind, aktiviert werden und manchmal auch in einer dementsprechenden Muskelbewegung enden – sprich ein Lächeln im Innen und Außen produzieren. Der Ausdruck des anderen ruft Erinnerungen an Momente in einem selbst wach, in denen man die Emotion gefühlt hatte. So kann man sich plötzlich freudig fühlen, obwohl man es vorher gar nicht war. Falls Sie also ein Bedürfnis nach freudigen Gefühlen haben: lächeln Sie so viel wie möglich…
Wir alle sind Experten darin, die komplexen Muskelbewegungen unserer Mitmenschen zu entziffern. Zu allen Zeiten war es bei der Begegnung mit einem Fremden ein deutlicher Vorteil, wenn man die Motive eines Neuankömmlings einschätzen konnte.
War der Andere wütend? Könnte er Ärger suchen? Braucht er Hilfe?
Leben und Tod konnten wirklich von dieser Millisekunden-schnellen Entscheidung über den Zustand der Gesichtsmerkmale eines Fremden abhängen. Obwohl die Begegnung mit einem Fremden heutzutage weniger wahrscheinlich mit unserem Tod endet, ist es immer noch unglaublich wichtig, die Gefühle anderer Menschen lesen zu können.
Moderne Gesellschaften sind sehr komplex. Die Anzahl an Gesichtern, die wir täglich zu sehen bekommen, hat sich exponentiell über die letzten Jahrhunderte vergrößert. Um Beziehungen, Arbeitsplätze und den Status Quo erhalten zu können, ist es essentiell, den Gesichtsausdruck unserer Partner, Kollegen oder Familienmitglieder schnell einschätzen und verstehen zu können.
Forscher der Universität von Wisconsin veröffentlichten einen Artikel, der den aktuellen Wissensstand in Bezug auf Gesichtsausdrücke und ihre Nachahmung zusammenfasst.
Das sensomotorische Simulationsmodell
Der Artikel fokussiert primär das sensomotorische Simulationsmodell der Emotionswahrnehmung. Dieses Modell sagt vorher, dass, wenn wir einen bestimmten Ausdruck, z.B. traurig oder glücklich, beobachten, wir diesen für einen Moment ausprobieren.
Deswegen kann es, wenn wir jemanden lächeln sehen, ansteckend sein. Dieses Ausprobieren hilft uns, die beobachtete Emotion mit einem Zeitpunkt in der Vergangenheit zu verbinden, an dem wir eine ähnliche Emotion empfunden haben. Durch ein Beanspruchen derselben Teile des Gehirns und ähnlicher Muskelgruppen regen wir unsere Erinnerungen an und machen Empathie möglich.
Die Autoren sagen: „Man denkt an die eigenen emotionalen Gefühle, erzeugt eine Art Wiedererkennungsentscheidung und wählt dann als wichtigsten Schritt eine angemessene Aktion: man nähert sich der Person oder meidet sie.“
Manchmal führt diese sensomotorische Simulation den Weg vom Gehirn nicht bis zu den Muskeln zu Ende, oder tut es nur in einem verminderten Ausmaß. Statt eines vollen Lächelns, heben sich beispielsweise vielleicht nur die Mundwinkel etwas an.
Die angemessenen Teile des Hirns – die somatosensorischen und motorischen Systeme –, die beim Entstehen der Emotion beteiligt sind, und spezifische Gesichtsmuskelbewegungen sind trotzdem aktiviert. Das Gehirn lässt den Ausdruck intern ohne Nutzung der Muskeln entstehen, wobei die Intention besteht, den Ausdruck wirklich entstehen zu lassen.
Unsere Gesichtsausdrücke sind vor allem keine Einbahnstraße. Wenn wir uns glücklich oder wütend fühlen, zeigen unsere Gesichter das an. Das überrascht niemanden, doch das wirklich überraschende ist, dass ein erzwungenes Lächeln wirklich Zufriedenheit auslösen kann, wo vorher keine gefühlt wurde.
Experimente, für die Teilnehmer einer unangenehme Situation ausgesetzt wurden und dazu gebracht wurden, zu lächeln, zeigen, dass die wahrgenommene Unannehmlichkeit der Erfahrung durch das Lächeln vermindert wurde. Weitere Studien mit depressiven Patienten zeigen, dass depressive Symptome durch eine Lähmung der Muskeln, die für einen Ausdruck des Stirnrunzelns zuständig sind, depressive Symptome vermindern können.
Unsere Emotionen produzieren Gesichtsausdrücke, doch unsere Gesichtsausdrücke können auch unsere Emotionen hervorrufen.
In ähnlicher Weise wurde eine Studie durchgeführt mit Patienten, die unter einer Gesichtslähmung leiden. Das Ausmaß der wahrgenommenen Depression konnte durch das Ausmaß vorhergesagt werden, in dem die Muskeln, die für das Zustandekommen eines Lächelns zuständig sind, gelähmt waren. Mit anderen Worten beeinträchtigte ihre Fähigkeit, ein Lächeln zeigen zu können, oder die Unfähigkeit, es nicht zu können, ihren emotionalen Zustand.
Wenn Nachahmung nicht möglich ist
Die Bedeutsamkeit der Nachahmung von Gesichtsausdrücken wird sichtbar in der Forschung mit Personen, die diese Fähigkeit nicht haben. Zum Beispiel Personen mit einer motorischen Erkrankung, wie einem Schlaganfall oder einer Gesichtslähmung. Diese Personen können Schwierigkeiten damit haben, die Emotionen anderer zu teilen. Der Zugang zu den Emotionen anderer bleibt ihnen teilweise verschlossen.
Eine weitere Störung, die bekannter Weise einen Mangel an Einfühlung in den emotionalen Zustand anderer aufweist, ist Autismus. Die Autoren der oben genannten Studie schreiben:
„Es gibt einige Symptome beim Autismus, bei denen der Mangel an Nachahmung von Gesichtsausdrücken teilweise durch eine Vermeidung von Blickkontakten unterdrückt wird.“
Sie beschreiben weiter, dass durch Ermutigungen zu Blickkontakten spontane oder automatische Nachahmung von Gesichtsausdrücken ausgelöst werden.
Es sind weitere Untersuchungen zur sensomotorischen Simulation und ihrer Rolle im Bereich der menschlichen Emotionen bzw. Empathie geplant. Die Hoffnung ist, dass die bisherigen Funde Einblick in Störungsbilder bieten, bei denen die Nachahmung von Gesichtsausdrücken eine Herausforderung ist.
Quelle:
Rubrik: Glücksforschung, Mensch & Gruppe