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Welche Auswirkungen hat das Stadtleben auf das Gehirn?

21. Dezember 2010

Welche Auswirkungen hat das Stadtleben auf das GehirnDer Mensch ging erst nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren zu einer sesshaften Lebensweise über. Das entspricht vielleicht fünf Prozent der Menschheitsgeschichte, und so überrascht es nicht, dass das menschliche Gehirn besser an ein Leben in der Natur als in der Stadt angepasst ist. Wir haben einen etwas längeren Artikel aus Medical News Toady vom November übersetzt, der die Auswirkungen der städtischen Lebensweise veranschaulicht und zeigt, wie die Natur dem Menschen helfen kann, sich geistig-seelisch zu regenerieren:

Wissenschaftler verstehen immer besser, warum das Stadtleben für das menschliche Gehirn eine Belastung ist. Der Zwang, ununterbrochen eine Fülle von ebenso flüchtigen wie verlockenden Reizen verarbeiten zu müssen, kann geistige Prozesse wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit so lange überfordern, bis ein Mensch geistig erschöpft ist.

Dr. Sara Lazar, die Leiterin der Arbeitsgruppe Neurowissenschaftliche Untersuchung der Meditation am Massachusetts General Hospital in Boston, deren Arbeit von den National Institutes of Health und dem Center for Disease Control and Prevention finanziert wird, sagt, „auf einer hektischen Straße in einer Stadt ist es wahrscheinlich ein Anpassungsvorteil, wenn ein Mensch eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hat.“

Manche sind der Meinung, dass uns die Reize, mit denen wir im Stadtleben Tag für Tag bombardiert werden, einfach nur ablenken, aber Lazar sagt, dass sie lebenswichtige Informationen enthalten könnten, die wir beachten müssen, auch wenn sie viel von der natürlichen Prozessorkapazität des Gehirns in Anspruch nehmen.

„Wenn Sie zu sehr auf etwas fixiert sind, könnten Sie ein Auto übersehen, das um die Ecke kommt, und dann nicht rechtzeitig zur Seite springen“, schrieb Lazar vor Kurzem in einem Beitrag für die Harvard Medical School News.

Lazar nennt die geistige Erschöpfung, die eintritt, wenn jemand unaufhörlich auf Reize achten muss, wie sie den Stadtmenschen umgeben, die „Ermüdung der gerichteten Aufmerksamkeit“. In diesem neurologischen Zustand ist die willkürliche Aufmerksamkeit, die Fähigkeit des Gehirns, sich auf einen bestimmten Reiz zu konzentrieren und Ablenkungen zu ignorieren, am Ende.

Symptome einer Erschöpfung der gerichteten Aufmerksamkeit sind erhöhte Ablenkbarkeit, mangelnde Geduld und Vergesslichkeit. Bei sehr starker Erschöpfung machen Menschen immer häufiger Fehler und fühlen sich zunehmend gestresst.

Aber es gibt Mittel dagegen, die den Geist erfrischen, und das kann so einfach sein wie ein Spaziergang im Park.

Forscher an der University of Michigan in Ann Arbor in den USA veröffentlichten 2008 eine Studie, in der sie die Auswirkungen der Interaktion von Menschen mit einer natürlichen oder einer städtischen Umgebung verglichen.

Dr. Marc Berman, ein Research Fellow der kognitiven Neurowissenschaften, und seine Mitarbeiter stellten fest, wenn sich ein Mensch auch nur ein paar Minuten auf einer belebten Straße in der Stadt aufhält, kann das die Konzentrationsfähigkeit und die Kontrollfunktion des Gehirns beeinträchtigen. Geht er dagegen in der Natur spazieren oder betrachtet einfach Fotos von der Natur, kann das seine Fähigkeit zur gerichteten Aufmerksamkeit verbessern.

Die Forscher ließen eine Gruppe von Freiwilligen durch einen Park schlendern, während eine andere ein paar belebte Straßen in der Stadt entlanglief. Die Gruppe, die im Park spazieren gegangen war, schnitt danach bei psychologischen Tests für die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis besser ab als die Gruppe, die durch die Stadt gelaufen war.

Sie werteten das Ergebnis als Beweis für die Theorie, dass sich das Gehirn eines Stadtmenschen erholt, wenn er sich eine Weile in einer natürlichen Umgebung aufhält. Diese sogenannte Attention Restoration-Theorie (ART, Aufmerksamkeits-Erholungs-Theorie) besagt, dass uns die Natur „faszinierende“ Reize bietet, die „von unten nach oben“ gerichtet sind und unsere Sinne in Anspruch nehmen. Dadurch erhält die „von oben nach unten“ gerichtete Aufmerksamkeit, die wir benötigen, um uns vor Autos und anderen Gefahren vorzusehen, die Gelegenheit, sich auszuruhen und zu regenerieren.

Die Attention Restoration-Theorie wurde zuerst 1989 in dem Buch „Die Erfahrung der Natur: Eine psychologische Perspektive“ von den Umweltpsychologen Rachel und Stephen Kaplan (einem Mitautor der Studie von Berman) vorgeschlagen. Darin behaupten sie, dass sich die neuronalen Schaltkreise für die Aufmerksamkeit im Gehirn eines Menschen erholen können, wenn er Zeit in der Natur verbringt.

Auch Studien an Patienten in Krankenhäusern und an Mietern in großen Wohnanlagen haben die Vorteile eines Lebens mit Blick auf natürliches Grün gezeigt. Zum Beispiel wurden Patienten, die von ihren Krankenhausbetten aus Bäume sehen konnten, schneller gesund als Patienten, die keinen Blick aufs Grüne hatten. Frauen, die in hohen Appartementblocks wohnten, konnten sich besser auf ihre Hausarbeit konzentrieren, wenn sie ein Stück Wiese sehen konnten.

Lazar und ihr Team von Neurowissenschaftlern am Massachusetts General Hospital führen Neuroimaging-Studien durch, um die Vorgänge im Gehirn von Menschen sichtbar zu machen, die Meditation und Yoga praktizieren oder andere Aktivitäten mit einem ähnlich beruhigenden Effekt wie in der Natur zu sein.

Für ein Forschungsprojekt untersuchten sie die Dicke der Großhirnrinde bei zwanzig Freiwilligen, die seit Längerem die „Einsichtsmeditation“ praktizierten, und verglichen sie mit einer geeigneten Gruppe von Kontrollpersonen. Bei dieser Form der buddhistischen Meditation richtet man seine Aufmerksamkeit auf innere Erfahrungen.

Sie stellten fest, dass Regionen der Großhirnrinde wie der präfrontale Cortex und die rechte vordere Insel, die mit „Aufmerksamkeit, innerer Wahrnehmung und der Verarbeitung von Sinneseindrücken“ assoziiert sind, bei Anhängern der Meditation dicker waren. Außerdem war dieser Unterschied bei älteren Testpersonen stärker ausgeprägt, was darauf hindeutet, dass Meditation dem normalen Alterungsprozess entgegenwirken könnte, der die Dicke dieser Großhirnregionen abnehmen lässt.

Lazar sagt, das Stadtleben kann das Gehirn auch auf andere Weise beeinflussen. Ein Beispiel sind die Auswirkungen von Stress auf das Gedächtnis. Wenn wir unter Stress stehen, antwortet unser Köper mit einer Flucht-oder-Kampf-Reaktion. Sie erhöht den Cortisolspiegel, was sich auf die Funktion des Hippocampus auswirkt, einer Gehirnregion, die für das Gedächtnis wichtig ist.

Sie sagt, wenn Leute in eine ruhigere Gegend ziehen, kann das Stress reduzieren, was den Cortisolspiegel senkt und die „Neuroplastizität“, die Fähigkeit des Gehirns zur Bildung neuer Nervenverbindungen, fördert.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit leben mehr Menschen in Städten als in ländlichen Gegenden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als die Hälfte der 6,7 Milliarden Menschen Stadtbewohner.

Obwohl das Leben in der Stadt viele Attraktionen hat, wie bessere Jobaussichten, soziale und kulturelle Aktivitäten und wahrscheinlich einen höheren Lebensstandard, hat es auch seine Nachteile, und wie diese Studien zeigen, ist eine davon die Überbeanspruchung des Gehirns.

Aber bevor wir daraus schließen, die Antwort ist, unsere Koffer zu packen und uns in eine weniger anstrengende Umwelt zurückzuziehen, sollten wir vielleicht mit Yoga oder Meditation anfangen oder es wieder regelmäßiger praktizieren und öfter durch den Park spazieren.

Quellen:

Medical News Today, 16. Nov 2010

Berman et al. Psychological Science, 2008

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Rubrik: Burnout/Stress, Hirnforschung, Leistungsfähigkeit
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