Was uns nicht umbringt, macht uns stärker: Mythos oder Wirklichkeit?
In vielen Lebensbereichen wie in der Schule oder im Beruf gilt das Mittelmaß als kaum erstrebenswert. Aber eine neue Studie zeigt, dass es beim Stress im Leben tatsächlich ein goldenes Mittelmaß gibt. Wir haben die Presseerklärung der Universität zu der Studie von Mitte Oktober übersetzt, nach der ein gewisses Maß an Stress die Lebenszufriedenheit eines Menschen erhöht:
Wir alle kennen das Sprichwort, was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Aber bis jetzt konnte das Gros wissenschaftlicher Untersuchungen kaum einen Beweis dafür bieten. Doch nun hat eine neue landesweite, mehrjährige Langzeitstudie über die Auswirkungen negativer Lebensereignisse auf die psychische Gesundheit gezeigt, dass negative Erfahrungen scheinbar tatsächlich die spätere Anpassungsfähigkeit und Belastbarkeit eines Menschen fördern und für seine psychische Gesundheit und sein Wohlbefinden nützlich sind.
Die Studie „Was uns nicht umbringt: Kumulative negative Lebensereignisse, Anfälligkeit und Belastbarkeit“ erscheint in der nächsten Ausgabe des Journals of Personality and Social Psychology und ist über die Internetseite der American Psychological Association erhältlich.
Sie untersuchte die Ergebnisse einer landesweiten Befragung von Menschen, die Auskunft über negative Erfahrungen in ihrem Leben sowie über ihre aktuelle psychische Gesundheit und ihr Wohlbefinden gaben.
Die Autoren sind Mark Seery, Assistenzprofessor für Psychologie an der University at Buffalo in New York, E. Alison Holman, Assistenzprofessorin für Pflegewissenschaften, University of California, Irvine und Roxane Cohen Silver, Professorin für Psychologie und Sozialverhalten und Medizin an der University of California, Irvine.
Nach Seery, dem ersten Autor der Studie, haben frühere Untersuchungen gezeigt, dass negative Lebenserfahrungen normalerweise negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen haben. Das heißt, je mehr negative Erfahrungen ein Mensch gemacht hat, desto schlechter sein Wohlbefinden.
Aber in dieser landesweiten Untersuchung an 2398 Menschen, die zwischen 2001 und 2004 wiederholt befragt wurden, zeigten Seery und seine Mitarbeiter, dass die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen mit einigen negativen Lebenserfahrungen besser war als von Menschen, die sehr viele oder gar keine negative Lebenserfahrungen gemacht hatten.
„Wir untersuchten, ob es quadratische Zusammenhänge zwischen negativen Lebensereignissen und verschiedenen Größen gibt, mit deren Hilfe sich die langfristige psychische Gesundheit und das Wohlbefinden quantifizieren lässt. Dazu gehörten allgemeiner seelischer Stress, Beeinträchtigungen im Alltagsleben, Symptome von posttraumatischem Stress und die Lebenszufriedenheit„, sagt Seery.
„Wie schon frühere Untersuchungen über die Auswirkungen negativer Lebensereignisse zeigten unsere Ergebnisse lineare Effekte, sodass viele negative Lebensereignisse mit größerem allgemeinem seelischen Stress, stärkeren Beeinträchtigungen im Alltagsleben und mehr PTS-Symptomen sowie mit einer geringeren Lebenszufriedenheit verbunden waren.“
Aber Seery sagt, „unsere Ergebnisse zeigten auch quadratische, U-förmige Muster und damit eine entscheidende Abweichung von dem scheinbar einfachen Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen und der psychischen Gesundheit und dem Wohlbefinden von Menschen.“
„Unsere Ergebnisse zeigten“, sagt er, „dass einige negative Lebensereignisse – im Vergleich zu keinen oder sehr vielen – geringeren allgemeinen seelischen Stress, weniger Beeinträchtigungen im Alltagsleben, weniger PTS-Symptome und eine höhere Lebenszufriedenheit vorhersagten.“
Außerdem stellte das Team fest, dass nach den gleichen Maßstäben für die langfristige Gesundheit diejenigen Menschen, die im Leben schon einige negative Erfahrungen gemacht hatten, durch neue negative Ereignisse scheinbar nicht so negativ beeinflusst wurden wie andere Menschen.
Obwohl diese Daten keinen ursächlichen Zusammenhang beweisen, sagt Seery, stehen die Ergebnisse im Einklang mit der These, dass negative Lebensereignisse in Maßen Menschen helfen können, belastbarer zu werden.
„Obwohl wir schwerwiegende negative Lebensereignisse untersucht haben”, sagt er, „gibt es Gründe für die Annahme, dass andere relativ alltägliche Erfahrungen ebenso zur Belastbarkeit beitragen.“
„Das zeigt, dass man etwas Ähnliches auch mit sorgfältig geplanten psychotherapeutischen Maßnahmen erreichen könnte, obwohl noch viel Arbeit nötig sein wird, um die Belastbarkeit und ihre Ursprünge voll und ganz zu verstehen.“
Quellen:
University at Buffalo, 15. Okt 2010
Seery et al. Journal of Personality and Social Psychology, Okt 2010
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Rubrik: Burnout/Stress, Glücksforschung
Tags: klinische Studie, Selbstvertrauen, Umwelt