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Lässt sich die Konzentration durch Ablenkung steigern?

4. April 2011

Ist Online-Therapie bei Panikattacken und Depressionen wirksamUm sich länger auf etwas konzentrieren zu können, braucht der Mensch Ruhe, aber auch regelmäßige Pausen – eigentlich ein Widerspruch. Eine neue Studie hat das Phänomen genauer untersucht und zeigt, dass nicht irgendwelche, sondern aktive Pausen die Konzentration fördern. Wir haben die Presseerklärung der Universität zu der Studie vom Februar übersetzt, deren Empfehlungen man in vielen Alltagsbereichen ganz einfach umsetzen kann:

Eine neue Studie, die in dem Journal Cognition erscheint, bringt eine jahrzehntealte Theorie über das Wesen der Aufmerksamkeit ins Wanken und zeigt, dass selbst kurze Ablenkungen von einer Aufgabe die Fähigkeit eines Menschen, sich länger auf seine Tätigkeit zu konzentrieren, dramatisch verbessern können.

Die Studie untersucht ein Phänomen, das jeder kennt, der schon einmal damit Schwierigkeiten hatte, für längere Zeit immer das Gleiche tun zu müssen: Nach einer Weile verliert man die Konzentration und die Arbeitsleistung nimmt ab.

Manche Forscher glauben, zu diesem „Wachsamkeitsabfall”, wie sie es nennen, kommt es, wenn die „Aufmerksamkeitsressourcen“ eines Menschen verbraucht sind, sagt Alejandro Lleras, ein Professor für Psychologie an der University of Illinois in den USA, der die neue Studie leitete. „Vierzig, fünfzig Jahren lang haben die meisten Veröffentlichungen über den Wachsamkeitsabfall die Aufmerksamkeit als eine Ressource betrachtet, die begrenzt ist und sich mit der Zeit verbraucht, und ich glaube, das stimmt nicht. Ein Mensch macht seine Arbeit schlechter, weil er sich nicht mehr darauf konzentriert“, sagt er. „Aber irgendetwas beachtet der Mensch immer. Die Aufmerksamkeit ist nicht das Problem.“

Lleras war aufgefallen, dass es bei der Wahrnehmung von Sinneseindrücken ein ganz ähnliches Phänomen gibt: Das Gehirn nimmt nach und nach immer weniger wahr, was wir sehen, hören oder fühlen, wenn diese Reize die ganze Zeit konstant bleiben. Zum Beispiel nehmen die meisten Menschen das Gefühl der Kleidung, die ihre Haut berührt, nicht bewusst wahr. Der Körper „gewöhnt sich“ an das Gefühl, und der Reiz wird vom Gehirn nicht mehr als relevant wahrgenommen.

Schon in früheren Studien hat Lleras die zeitlichen Grenzen der visuellen Wahrnehmung untersucht und sich dabei auf das Phänomen des sogenannten Troxler-Effekts konzentriert: wenn sich ein Mensch lange genug auf ein unbewegliches Objekt am Außenrand seines Sehfeldes konzentriert, kann das Objekt völlig aus seiner Wahrnehmung „verschwinden“.

„Unser Gehirn registriert Dauerreize als etwas Unwichtiges, und zwar so sehr, dass das Gehirn sie aus unserem Bewusstsein löscht“, sagt Lleras. „Deshalb dachte ich mir, wenn die Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, grundsätzlich ähnlich ist, dann sollte für Gedanken dasselbe gelten, was auch für Empfindungen gilt. Wenn die anhaltende Konzentration auf eine Empfindung dazu führt, dass sie aus unserem Bewusstsein verschwindet, dann sollte die anhaltende Konzentration auf einen Gedanken auch dazu führen, dass er aus unserem Bewusstsein verschwindet!“

In der neuen Studie untersuchten Lleras und der Postdoctoral Fellow Atsunori Ariga, wie gut sich Testpersonen unter verschiedenen Bedingungen auf eine repetitive Computeraufgabe konzentrieren konnten, die fast eine Stunde dauerte. Die 84 Teilnehmer wurden in vier Gruppen aufgeteilt:

• Die Kontrollgruppe machte die Aufgabe 50 Minuten lang ohne Pausen oder Ablenkungen.

• Die „Wechsel”-Gruppe und die „kein Wechsel”-Gruppe sollten sich vor der Testaufgabe vier Zahlen merken und darauf reagieren, wenn sie während der Aufgabe eine der Zahlen auf dem Bildschirm sahen. Tatsächlich wurden aber die Zahlen während der fünfzigminütigen Aufgabe nur der Wechsel-Gruppe gezeigt, und das auch nur zweimal. Am Ende der Aufgabe wurde getestet, wie gut sich beide Gruppen an die Zahlen erinnern konnten.

• Der „Zahlen-ignoriert“-Gruppe wurden während der Aufgabe die gleichen Zahlen gezeigt wie der Wechsel-Gruppe, aber die Testpersonen sollten sie ignorieren.

Wie erwartet nahm die Leistung der meisten Teilnehmer deutlich ab, je länger sie sich mit der Aufgabe beschäftigten. Entscheidend aber war, so Lleras, dass bei der Wechsel-Gruppe die Leistung mit der Zeit nicht nachließ. Nur weil sie bei ihrer Hauptaufgabe zwei kurze Pausen machen mussten (um auf die Zahlen zu reagieren), konnten sie sich während des ganzen Experiments konzentrieren.

„Wir waren erstaunt, dass die Zeit scheinbar keinen negativen Einfluss auf die Leistung hatte, während sie bei den anderen Gruppen so deutlich abnahm“, sagt Lleras.

Die Studie spricht für die Interpretation, dass unser Gehirn dafür geschaffen ist, Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren, sagt Lleras, und zeigt, dass in Wirklichkeit längere Konzentration auf dieselbe Aufgabe die Leistungsfähigkeit vermindert.

„Wir sind der Meinung, dass man sich länger auf etwas konzentrieren kann, wenn man seine Aufmerksamkeit zwischendurch auf etwas anderes richtet“, sagt er. „Praktisch gesehen, zeigen unsere Ergebnisse, wenn man etwas Längeres zu tun hat (wie für eine Abschlussprüfung lernen oder den Lohnsteuerjahresausgleich machen), ist es am besten, sich zu kurzen Pausen zu zwingen. Kurze geistige Pausen helfen Menschen sogar, sich weiter auf ihre Arbeit zu konzentrieren!“

Quellen:

University of Illinois, 8. Feb 2011

Ariga & Lleras. Cognition, März 2011

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Rubrik: Leistungsfähigkeit
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1 Kommentieren

  1. Florian
    April 8th, 2011

    Ich halte den letzten Satz, „Kurze geistige Pausen helfen Menschen sogar, sich weiter auf ihre Arbeit zu konzentrieren!“ für eine Fehlinterpretation dieses Experiments. Diese Einschätzung widerspricht ja einer Alltagserfahrung, die jeder kennt: Die Gedanken schweifen ab, und geht man ihnen nach, bzw beschäftigt sich mit etwas anderem, macht eine Pause, fällt es anschließend zunächst schwer, wieder den Zugang zur Sache zu finden.

    Ich glaube, man müsste die Ergebnisse dieses Experiments eher dahingehend interpretieren, dass Menschen zur Steigerung ihrer Konzentrationsfähigkeit offenbar hilft, wenn sie:

    a) eine konkrete Aufgabe zu verfolgen haben (anders gesagt: sich ein Ziel formulieren). Also die monotone Situation zu einer Art Spiel umformuliert wird. Beispiel: Ich konzentriere mich beim Lernen/Lesen eines eintönigen Textes darauf, den Text auf bestimmte Wörter hin zu scannen und dabei alle Wörter einer bestimmten Kategorie herauszuschreiben. Beispielsweise könnte funktionieren, wenn ich die Suche auf Worte konzentriere, die einen Nonsense-Satz vervollständigen könnten wie: „Zwei alte Männer spazieren um eine Ecke und entdecken…“. Interessant könnte dabei sein, ob ein Fokus auf eine visuelle Situation die Konzentration sogar noch auf andere Weise erhöht, als ein nicht-visueller Fokus.

    b) Die gesuchte Aufgabe muss hin und wieder ein Erfolgserlebnis auslösen – die Konzentration auf einen Fokus, der ins leere läuft, scheint wohl eher zu Resignation, und in Folge zum Abschweifen der Gedanken zu führen.

    F.K.

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