skip to content

Welche Vorstellung haben Babys von Raum und Zeit?

31. Juli 2010

Welche Vorstellung haben Babies von Raum und ZeitZahlworte wie „eins“, „zwei“ und „drei“ gehören zu den ältesten Worten in der Evolution der (indogermanischen) Sprachen und sind damit so alt wie „ich“ oder „wir“. Eine aktuelle Studie an Babys zeigt nun, dass die Wahrnehmung von quantitativen Unterschieden vielleicht nicht einfach erlernt ist, sondern dem Menschen sogar angeboren sein könnte. Wir haben die Presseerklärung der Universität zu der Studie vom Juni übersetzt, die die Faszination von Kindern mit Konzepten wie „groß“ und „klein“ erklären könnte:

Noch bevor sie sprechen lernen, organisieren Babys Informationen über Zahlen, Raum und Zeit auf eine komplexere Art und Weise als man bisher dachte. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie unter Leitung der Psychologin Stella Lourenco von der Emory University in den USA. „Wir haben gezeigt, dass neun Monate alte Babys ein Gespür für die Verhältnisse von Objekten zueinander haben und „mehr als“ oder „weniger als“ bei Zahl, Größe und Dauer erkennen können. Und das wirklich Bemerkenswerte ist, sie brauchen nur Erfahrung mit einem dieser quantitativen Konzepte, um zu erraten, wie andere Quantitäten aussehen sollten”, sagt Lourenco.

Lourenco führte die Studie, die in einer der nächsten Ausgaben von Psychological Science veröffentlicht werden soll, zusammen mit dem Neurowissenschaftler Matthew Longo vom University College London durch.

In seinem Meisterwerk „The Principles of Psychology“ aus dem Jahre 1890 beschreibt William James den Eindruck des Babys von der Welt als ein „einziges großes grelles, hektisches Durcheinander.”

Aber immer mehr Forschungsergebnisse stellen diese lange Zeit gültige Theorie auf den Kopf.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen ab den ersten paar Monaten im Leben Informationen über die Quantität benutzen, um ihre Wahrnehmung von der Welt zu organisieren”, sagt Lourenco. „Die Quantität scheint überaus nützlich zu sein, um vorherzusagen, wie sich Objekte verhalten sollten.”

Lourenco konzentriert sich auf die Entwicklung der räumlichen Wahrnehmung und ihre Interaktionen mit anderen kognitiven Dimensionen wie der Verarbeitung von Zahlen und der Wahrnehmung der Zeit. Frühere Forschungsuntersuchungen haben gezeigt, dass diese verschiedenen kognitiven Bereiche auf neuronaler Ebene eng miteinander verknüpft sind. So haben zum Beispiel Tests gezeigt, dass Erwachsene kleinere Zahlen mit der linken Seite des Raumes assoziieren und größere Zahlen mit der rechten.

„Es ist, als ob wir ein Lineal im Kopf hätten”, beschreibt Lourenco das Phänomen.

Andere Tests haben gezeigt, wenn Erwachsene schnell die höhere von zwei Zahlen wählen sollen, wird die Aufgabe viel schwieriger, wenn die höhere Zahl physisch kleiner aussieht als die niedrigere Zahl.

Lourenco wollte untersuchen, ob unser Gehirn einfach statistische Regelmäßigkeiten durch wiederholte Erfahrungen und sprachliche Assoziationen erkennt, oder ob ein allgemeines System für die Wahrnehmung von Größen schon früh im Leben existiert.

Um das zu untersuchen, zeigte sie in ihrem Labor neun Monate alten Babys Gruppen von Objekten auf einem Computerbildschirm. „Babys starren gerne Dinge an, die sie zum ersten Mal sehen”, erklärt Lourenco, „und wir können messen, wie lange sie diese Dinge anschauen, um zu verstehen, wie sie Informationen verarbeiten.”

Wenn die Forscher den Babys Bilder von größeren Objekten zeigten, die schwarz und gestreift waren, und kleineren Objekten, die weiß und gepunktet waren, erwarteten die Babys die gleiche Kombination von Farbe und Muster auch für das Größenverhältnis „mehr und weniger” bei Zahlen und der Zeitdauer. Wenn zum Beispiel die zahlreicheren Objekte weiß und gepunktet waren, fixierten die Babys das Bild länger, als wenn die Objekte schwarz und gestreift waren.

„Wenn die Babys etwas länger anschauen, zeigt es, dass sie von der fehlenden Übereinstimmung überrascht sind”, sagt Lourenco. „Sie scheinen zu erwarten, dass diese verschiedenen Dimensionen in der Welt miteinander korrelieren.”

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit einem allgemeinen System für die Wahrnehmung von Größen geboren werden könnten. „Wenn wir nicht mit diesem System geboren werden, dann scheint es sich sehr schnell zu entwickeln”, sagt Lourenco. „Wie dem auch sei, ich finde es erstaunlich, wie wir Informationen über die Quantität benutzen, um uns die Welt zu erklären.”

Lourenco hat vor Kurzem 300 000 Dollar Forschungsgelder vom John Merck Fund erhalten. Die Mittel sind für junge Forscher gedacht, die kognitiv-psychologische oder biologische Untersuchungen durchführen, die für Entwicklungsstörungen relevant sind. Sie hat vor, damit näher zu untersuchen, wie sich dieses System zur Verarbeitung quantitativer Informationen entwickelt, sowohl bei gesunden Kindern als auch bei Kindern mit Entwicklungsstörungen wie der Lernschwäche Dyskalkulie (Rechenschwäche) – dem mathematischen Äquivalent der Dyslexie (Lese- und Rechtschreibschwäche).

„In den letzten beiden Jahrzehnten galt die Aufmerksamkeit sehr der Dyslexie”, sagt Lourenco. „Aber weil unsere Welt immer technischer wird und Schüler in den USA denen in anderen Ländern in Mathematik hinterherhinken, findet jetzt die Bedeutung mathematischen, räumlichen und zeitlichen Denkens mehr Beachtung. Ich möchte die tiefer liegenden Ursachen der Dyskalkulie untersuchen und mich mit möglichen Behandlungsmethoden für Kinder befassen, die Schwierigkeiten mit quantitativem Denken haben.”

Quellen:

Emory University, 11.6.10

Lourenco & Longo. Psychological Science, Juni 2010

Verwandte Artikel:

Was erklärt die Lesefähigkeit von Kindern: Genetik oder Umwelt?

Wann startet die Sprachentwicklung bei Babys?

Warum wecken Gerüche Kindheitserinnerungen?

Weitere Links:

Zur Praxis für Psychotherapie in München

Zur Praxis für Psychotherapie in Düsseldorf

Rubrik: Kinder & Jugendliche
Tags: , , ,


Comments are closed.

Zurück zum Anfang