Persönlichkeit und politische Einstellung: Was ist der Zusammenhang?
Wenn wir alle vier Jahre zur Wahlurne gehen, ist unsere Entscheidung vielleicht nicht so frei, wie wir denken. Denn eine neue Studie zeigt, dass die politische Gesinnung eines Menschen bis zu einem gewissen Grade durch seine Persönlichkeit festgelegt ist. Wir haben eine Presseerklärung der Universität zu der Studie vom Juni übersetzt, die auch zeigt, warum Leute empfänglich für irrationale Wahlslogans sein könnten:
Die politische Einstellung und die Persönlichkeit eines Wählers hängen eng miteinander zusammen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der University of Toronto (UofT) in Kanada.
Die Forscher der UofT konnten zeigen, dass das seelische Bedürfnis von Menschen nach Mitleid und Gleichheit mit einer liberalen Einstellung assoziiert sind, während das Bedürfnis nach Ordnung und Achtung sozialer Normen mit einer konservativen Einstellung assoziiert sind.
„Bei konservativen Menschen ist das Persönlichkeitsmerkmal Ordentlichkeit stärker ausgeprägt, Offenheit dagegen schwächer. Das heißt, sie haben einen stärkeres Bedürfnis nach einer gewissen Ordnung und Tradition, worin sich ein tiefenpsychologisches Motiv ausdrückt, die bestehende soziale Struktur zu erhalten”, sagt Jacob Hirsh, ein Postdoctoral Fellow der Psychologie an der UofT und erster Autor der Studie.
Die Studie, die diesen Monat im Personality and Social Psychology Bulletin erscheint, könnte sogar die Bezeichnung „sentimentaler Liberaler” rechtfertigen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine liberale Einstellung häufiger mit tiefer liegenden Motiven für Mitleid, Mitgefühl und Gleichheit assoziiert ist”, sagt Hirsh.
Die Forscher baten mehr als 600 Studienteilnehmer aus Kanada und den USA, ihre politischen Ansichten als eher liberal oder eher konservativ einzuschätzen, anstelle sich mit einer bestimmten politischen Partei zu identifizieren. Dann machten sie einen Persönlichkeitstest, um zu untersuchen, wie sich die Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmer zu ihren politischen Neigungen verhielten.
Hirshs Studie ist ein Beitrag zu der wachsenden Anzahl von Untersuchungen, die zeigen, dass politisches Verhalten durch tiefer liegende seelische Bedürfnisse motiviert ist. „Wir beginnen, die tiefere Motivation zu verstehen, die zu der politischen Neigung eines Menschen beitragen”, sagt Hirsh. „Obwohl die Motive aller Menschen die gleiche Grundstruktur haben, ist die relative Stärke der zugrunde liegenden Systeme von einem Menschen zum anderen verschieden. Wenn die Bedürfnisse nach Ordnung und Gleichheit relativ ausgewogen sind, ist der Mensch wahrscheinlich politisch moderat. Wenn eines der Motive stärker als das andere wird, bewegen sich die politischen Präferenzen entweder zum einen oder dem anderen Ende des Spektrums.”
„Die Werte von Menschen sind tief in ihrer Biologie und ihrem genetischen Erbe verwurzelt”, sagt der UofT-Professor und Mitautor der Studie Jordan Peterson. „Das heißt, man muss bei politischen Werten und Moral tiefer nachforschen, was die Herkunft dieser Motive angeht. Politische Präferenzen beruhen nicht auf einfachen, rationalen Überlegungen zu diesen Fragen.”
Peterson argumentiert, dass beide Arten der politischen Motivation notwendig sind, um eine funktionierende Gesellschaft aufrechtzuerhalten.
„Die Tatsache, dass diese Variabilität der Motivationssysteme immer noch existiert, bedeutet aus Sicht der Evolution, dass keines für sich alleine ausreicht. Jedes politische Profil hat seine Kosten und Nutzen, und beide scheinen notwendig zu sein, um ein effektives Gleichgewicht in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten.”
Quellen:
University of Toronto, 8.6.10
Hirsh et al. Personality and Social Psychology Bulletin, Mai 2010
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Rubrik: Mensch & Gruppe
Tags: Persönlichkeit, Selbstbild, Sozialpsychologie, Verhaltensforschung