Beziehungsstreit: Lässt sich vorhersagen, wann die Wut verraucht ist?
Manche Leute haben ihre Gefühle besser unter Kontrolle als andere. Eine aktuelle Studie zeigt, dass dabei eine ganz bestimmte Gehirnregion eine entscheidende Rolle spielt. Ich habe die Pressemitteilung der Universität von dieser Woche übersetzt, die auf mögliche diagnostische Anwendungen des Untersuchungsverfahrens hinweist:
Man sagt, in einer guten Beziehung sollten Paare nicht im Groll zu Bett gehen. Aber die neuste Studie einer Psychologin der Harvard University zeigt, dass man an der Gehirnaktivität – und zwar in der LPFC-Region (lateraler präfrontaler Kortex, ein Teil des Stirnhirns) – viel besser erkennen kann, wie sich jemand in den Tagen nach einem Streit mit seiner oder ihrer besseren Hälfte fühlen wird.
Die in der Märzausgabe von Biological Psychiatry veröffentlichte Studie zeigt, dass Menschen mit einer stärkeren Nervenaktivität in der LPFC-Region am Tag nach einem Beziehungsstreit weniger wütend sind. Damit deuten die Ergebnisse auf eine Rolle der LPFC-Region bei der Regulation von Gefühlen hin und zeigen, dass eine verbesserte Funktion dieser Region auch die Stimmung von Menschen ganz allgemein verbessern könnte.
„Unsere Ergebnisse zeigten wie erwartet, dass sich niemand am Tag nach dem Beziehungsstreit wohlfühlte”, sagt Christine Hooker, die erste Autorin der Studie und Assistant Professor für Psychologie am Fachbereich Künste und Wissenschaften der Harvard University. „Aber am Tag darauf fühlten sich Leute mit einer hohen Aktivität in der LPFC-Region besser, und Leute mit einer niedrigen Aktivität in dieser Region fühlten sich immer noch schlecht.“
Hooker führte die Studie zusammen mit Özlem Ayduk, Anett Gyurak, Sara Verosky und Asako Miyakawa durch, die alle an der University of California in Berkeley sind.
Frühere Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass die LPFC-Region eine Rolle bei der Regulation von Gefühlen spielt. Allerdings wurde noch nie ein Zusammenhang der Region mit alltäglichen Lebenserfahrungen nachgewiesen.
An der Studie nahmen Paare von gesunden Erwachsenen teil, die länger als drei Monate zusammen waren. Die Forscher testeten die Reaktion der Teilnehmer auf eine Reihe von Bildern ihres Partners mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken (positiv, negativ oder neutral). Während ihnen die Fotos gezeigt wurden, befanden sich die Testpersonen in einem fMRT-Scanner, einem Gerät, das Bildaufnahmen der Nervenaktivität in ihrem Gehirn machte. Außerdem untersuchten die Forscher die geistige Kontrolle der Teilnehmer über ihre Emotionen in Labortests. Dazu gehörte unter anderem die Fähigkeit, Gefühlsimpulse zu kontrollieren und die Aufmerksamkeit umlenken und auf etwas anderes richten zu können.
Dann führten die Paare drei Wochen lang jeden Tag ein Online-Tagebuch über ihre Gemütsverfassung, und ob sie Streit mit ihrem Partner gehabt hatten.
Die Ergebnisse zeigten, dass manche Versuchsteilnehmer beim Anblick von Fotos ihres Partners mit einem negativen Gesichtsausdruck eine stärkere Aktivität in Scans der LPFC-Region hatten. Und diese Leute waren an Tagen nach einem Beziehungsstreit weniger schlecht gelaunt. Das deutet darauf hin, dass sie sich nach der Auseinandersetzung emotional besser „erholen” konnten.
Außerdem hatten Menschen mit einer höheren Aktivität in der LPFC-Region und einer besseren emotionalen Regulation nach einem Streit auch mehr geistige Kontrolle über ihre Emotionen in den Labortests, was auf einen Zusammenhang zwischen der emotionalen Regulation und der Fähigkeit zur geistigen Kontrolle im Allgemeinen hindeutet.
„Entscheidend ist, dass wir anhand der Gehirnaktivität im Scanner das Erleben von Menschen im Alltag vorhersagen konnten“, erklärt Hooker. „Wissenschaftler glauben an die Relevanz von Versuchsbeobachtungen in Scannern für das tägliche Leben, aber natürlich verbringt niemand sein Leben in einem Scanner. Wenn wir eine Verbindung herstellen können zwischen Beobachtungen im Scanner und der Fähigkeit von Menschen zur Regulation ihrer Emotionen im Alltag, könnten Psychologen vorhersagen, wie gut Menschen mit belastenden Ereignissen in ihrem Leben zurechtkommen werden.“
Hooker weiß, dass für die Entwicklung klinischer Anwendungen ihrer Forschung weitere Studien nötig sein werden. Aber die Funktion der LPFC-Region könnte Aufschluss über die Anfälligkeit von Menschen für Störungen ihrer Gemütslage nach belastenden Ereignissen geben. Außerdem stellt sich die Frage, ob eine Verbesserung der LPFC-Funktion auch die Fähigkeit solcher Menschen zur Regulation ihrer Gefühle verbessern würde.
Quellen:
Harvard Gazette, 8.3.10
Hooker et al. Biological Psychiatry, 2010
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Rubrik: Hirnforschung, Partnerschaft & Paartherapie
Tags: Aggression, fMRT, Gehirnaktivität, Verhaltensforschung