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Wie beeinflussen Berührungen unser Urteilsvermögen?

6. Juli 2010

Wie beeinflussen Berührungen unser UrteilsvermögenDass alle Sinne des Menschen an der Kommunikation beteiligt sein sollten, ist intuitiv klar und durch viele Untersuchungen belegt. Eine neue Studie zeigt nun, dass der Tastsinn unbewusste Assoziationen auslösen kann, die man nicht unbedingt erwarten würde, die aber die Kommunikation entscheidend beeinflussen können. Wir haben eine Presseerklärung der Universität zu der Studie von Ende Juni übersetzt, deren Erkenntnisse man zur Manipulation von Leuten einsetzen könnte, oder dagegen:

Eine Studie von Psychologen, die diese Woche im Journal Science erschien, zeigt, dass die Interaktion von Menschen tief greifend und unbewusst von den physischen Eigenschaften von Gegenständen beeinflusst wird, die rein zufällig da sind: Leute beurteilen Lebensläufe auf einer schweren Unterlage als gehaltvoller, während Verhandlungspartner, die auf weich gepolsterten Stühlen sitzen, weniger hart feilschen.

Die Untersuchung wurde von Forschern an der Harvard University, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Yale University in den USA durchgeführt. Nach Meinung der Autoren zeigen die Ergebnisse, dass der Berührungssinn – der erste Sinn, der sich bei uns entwickelt – das ganze Leben lang eine Grundlage bildet, auf der unsere sozialen Urteile und Entscheidungen beruhen.

„Der Berührungssinn ist wohl nach wie vor der Sinn, dem die Verhaltensforschung am wenigsten Beachtung schenkt”, sagt Christopher C. Nocera, einer der Autoren und Doktorand in der Abteilung Psychologie der Harvard University. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Begrüßungen durch Berührungen wie einem Handschlag oder Kuss auf die Wange unsere sozialen Interaktionen in Wirklichkeit entscheidend beeinflussen können, obwohl wir uns dessen nicht bewusst sind.”

Nocera führte die Untersuchung zusammen mit Joshua M. Ackerman, Assistant Professor für Marketing an der Sloan School of Management des MIT, und John A. Bargh, Professor für Psychologie an der Yale University, durch.

Erste Eindrücke werden wahrscheinlich durch Berührungen in der Umgebung beeinflusst, und für Verhandlungsführer, Interviewer, Jobbewerber und andere mit einem Interesse an zwischenmenschlicher Kommunikation könnte es ausgesprochen wichtig sein, diese Umgebung zu kontrollieren”, schreiben die Autoren in Science. „Der Gebrauch von ,Berührungstaktiken’ könnte ein neues Gebiet der Erforschung sozialer Einflussnahme und Kommunikation werden.”

Die Forscher machten verschiedene Experimente, um zu testen, wie Gegenstände durch ihr Gewicht, ihre Oberfläche und Härte unser Urteil über nicht damit zusammenhängende Ereignisse und Situationen unbewusst beeinflussen können:

• Um die Wirkung des Gewichts zu testen, das wir sinnbildlich mit Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit verbinden, ließen die Forscher Versuchspersonen Lebensläufe auswerten, die sie auf leichten oder schweren Klemmbrettern hielten. Sie stuften Kandidaten, deren Lebenslauf sie auf einem schweren Klemmbrett lasen, als höher qualifiziert und an der Position ernsthafter interessiert ein. Außerdem hielten sie es für wichtiger, dass sie bei der Aufgabe ein möglichst akkurates Urteil abgeben.

• Um den Einfluss der Oberfläche zu testen, gaben sie den Teilnehmern raue oder glatte Puzzleteile zu arrangieren, bevor sie eine Geschichte über eine soziale Interaktion hörten. Diejenigen, die mit dem rauen Puzzle gearbeitet hatten, beschrieben die Interaktion in der Geschichte eher als unkoordiniert und schroff.

• In einem Test für Härte beschäftigten sich die Testpersonen entweder mit einer weichen Decke oder einem harten Holzblock und hörten dann eine schwer zu deutende Geschichte über eine Interaktion auf der Arbeit zwischen einem Vorgesetzten und einem Mitarbeiter. Diejenigen, die den Block angefasst hatten, schätzten den Mitarbeiter als eher unnachgiebig und streng ein.

• Ein zweites Experiment zur Härte zeigte, dass sogar eine passive Berührung Interaktionen beeinflussen kann, als die Testpersonen auf harten oder weichen Stühlen saßen und so taten, als ob sie über den Preis eines Neuwagens feilschten. Die Testpersonen auf den harten Stühlen waren weniger flexibel und bewegten sich von einem Angebot zum nächsten weniger aufeinander zu. Außerdem hielten sie ihr Gegenüber bei den Verhandlungen für stabiler und weniger emotional.

Nach Meinung von Nocera und seinen Mitarbeitern zeigen diese Experimente, dass Informationen, die wir durch Berührungen aufnehmen, einen weitreichenden aber im Allgemeinen nicht wahrnehmbaren Einfluss auf die Kognition haben. Sie schlagen vor, dass unser Umgang mit Objekten eine „haptische” (vom Tastsinn beeinflusste) Denkweise in Gang setzen kann, die eine Übertragung damit assoziierter Vorstellungen auf Menschen oder Situation auslöst, die mit den Objekten in keinem Zusammenhang stehen.

„Menschen gehen oft davon aus, dass sie Neues vor allem mit den Augen erkunden”, sagt Nocera. „Aber obwohl das informative Potenzial des Gesichtssinns unbestritten ist, erklärt das nicht alles. Zum Beispiel ist unsere typische Reaktion auf ein unbekanntes Objekt für gewöhnlich diese: Mit ausgestrecktem Arm und die Hand geöffnet fragen wir, ,Kann ich das sehen?’ Diese Reaktion zeigt, dass die Erkundung nicht auf den Gesichtssinn beschränkt ist. Vielmehr beinhaltet sie das gemeinsame Sehen, Fühlen, Berühren und Manipulieren des unbekannten Objekts.”

Nocera sagt, weil der Tastsinn anscheinend der erste Sinn ist, mit dem wir die Welt erfahren – zum Beispiel, indem wir die warme und sanfte Berührung unserer Mutter mit Trost und Sicherheit gleichsetzen – könnte er eine der Voraussetzungen für eine übertragende Abstraktion sein, die es uns erlaubt, eine komplexere Vorstellung von Trost und Sicherheit zu entwickeln. Diese Abstraktion vom Körperlichen zum Geistigen spiegelt sich in Metaphern und gemeinsamen sprachlichen Beschreibungen wider wie den vielfachen Bedeutungen von Worten wie „hart”, „rau” und „schwer”.

Quellen:

Ackerman et al. Science, Juni 2010

Harvard Gazette, 24.6.10

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Rubrik: Mensch & Gruppe
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