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Lässt sich von einer Berührung auf die dahinterliegende Emotion schließen?

7. Oktober 2009

Lässt sich von einer Berührung auf die dahinterliegende Emotion schließen-1Ja, das ist offensichtlich der Fall und zwar mit erstaunlicher Präzision. Darüber berichtete die New York Times vor wenigen Wochen in einem lesenswerten Beitrag. Nachfolgend der Artikel in meiner Übersetzung:

Forscher haben einen experimentellen Nachweis dafür gefunden, dass eine Berührung soviel sagen kann wie tausend Worte, dass flüchtiger Körperkontakt ganz bestimmte Emotionen ausdrücken kann – leise, dezent und doch unmissverständlich.

Dazu testeten Forscher unter Leitung von Matthew J. Hertenstein, einem Juniorprofessor für Psychologie an der DePauw University, 248 Studenten, die mit einem vorher unbekannten Partner gegenseitig Berührungen austauschten, um einander eine bestimmte Emotion mitzuteilen: Ärger, Furcht, Freude, Trauer, Ablehnung, Liebe, Dankbarkeit oder Mitgefühl.

Die berührte Person hatte die Augen verbunden und kannte nicht das Geschlecht des Berührenden, der versuchen sollte, eine der acht Emotionen zu vermitteln. Dabei blieben beide Versuchsteilnehmer stumm. Vierundvierzig Frauen und 31 Männer berührten eine weibliche Partnerin, während 25 Männer und 24 Frauen einen männlichen Partner berührten. Danach erhielten die berührten Personen die Liste der acht Emotionen und wurden gebeten, die eben verspürte Empfindung darunter auszuwählen. Es gab auch eine neunte Wahlmöglichkeit, „keiner der Begriffe trifft zu”, um auszuschließen, dass jemand gezwungen war, eine Emotion zu wählen, die er nicht wirklich empfunden hatte.

Die Berührenden durften jeden Teil des Körpers zu berühren, der nicht unschicklich war, und sie wählten unterschiedlich oft Kopf, Gesicht, Arme, Hände, Schultern, Oberkörper und Rücken.

Das richtige Verständnis der Berührungen lag zwischen 50 und 78 Prozent, viel höher als die 11 Prozent, die man rein zufällig erwarten würde, und war vergleichbar mit Trefferquoten, wie man sie bei Untersuchungen über den mündlichen oder den Gesichtsausdruck von Emotionen beobachtet hat.

Die Forscher hielten auch das komplexe Vokabular von Berührungen fest – ein Rütteln, ein Reiben, ein Klaps oder ein Drücken, kleine Veränderungen bei der Druckausübung, Variationen der Plötzlichkeit des Schlages, wechselnde Geschwindigkeit, mit der Finger über die Haut fahren, und Unterschiede bei Ort und Dauer des Kontakts.

Tiffany Field, Direktorin des Touch Research Institute an der University of Miami, zeigt sich von der Arbeit beeindruckt. „Diese Informationen sind sehr interessant und tragen zum wissenschaftlichen Verständnis von Emotionen und Kommunikation bei.” Aber sie fährt fort: „Wir würden Berührungen wahrscheinlich nicht als Ausdruck von Emotionen Fremden gegenüber verwenden. Sie bleiben innigen Arten der Interaktion vorbehalten.” Dr. Field war nicht an dieser Untersuchung beteiligt, die in dem Fachjournal „Emotion“ im August veröffentlicht ist.

Die Teilnehmer wählten übereinstimmend charakteristische Arten der Berührung, um bestimmte Emotionen auszudrücken. Zum Beispiel drückten sie Furcht oft durch stilles Festhalten und Drücken aus, aber zu Mitgefühl gehörte immer Festhalten, Klopfen und Reiben. Männer und Frauen konnten Berührungen gleich gut deuten, teilten Emotionen aber durch unterschiedliches Verhalten mit. Männer berühren kaum das Gesicht anderer Leute, aber wenn doch, dann nur um Ärger oder Ablehnung Frauen gegenüber oder Mitgefühl anderen Männern gegenüber auszudrücken. Andererseits berührten Frauen Gesichter häufig, um Ärger, Trauer und Ablehnung beiden Geschlechtern gegenüber auszudrücken, oder aber um Männern gegenüber Furcht oder Freude mitzuteilen.

Die Gründe, warum sich ein solches System der Kommunikation in der Evolution herausgebildet hat, sind nicht bekannt, aber die Autoren meinen, es könnte den gleichen Ursprung haben wie die Rituale sozialer Körperpflege bei anderen Primaten. Die Autoren räumen ein, dass ihre Daten auf eine Testgruppe junger Amerikaner beschränkt waren, und dass kulturelle Unterschiede eine wichtige Rolle spielen könnten.

Dennoch meint Dr. Hertenstein: „Diese Ergebnisse zeigen die große Bedeutung der Rolle, die Berührungen spielen können. Die meisten Berührungen dauerten nur ungefähr fünf Sekunden, aber in solch flüchtigen Augenblicken können wir unterschiedliche Emotionen mitteilen, und das ebenso gut wie durch unseren Gesichtsausdruck. Das ist ein ausgeklügeltes System von abgestuften Signalen, über das wir bislang nichts wussten.”

Quellen:

New York Times, 11. August 2009

Hertenstein et al. Emotion, Aug 2009

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Rubrik: Mensch & Gruppe
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