Wie lässt sich Einsamkeit wirkungsvoll bekämpfen?
Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass die zunehmende Vereinsamung von Menschen mehr als ein soziales Problem ist und zum Beispiel auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Eine aktuelle Studie hat diese Ergebnisse nun systematisch ausgewertet und zeigt, dass eine Verhaltenstherapie die beste Methode ist, um einsamen Menschen zu helfen. Wir haben die Presseerklärung der Universität zu der Studie von letzter Woche übersetzt, deren Autoren in der Einsamkeit ein primär psychologisches Problem sehen:
Die effektivste Methode, um einem Menschen aus seiner Einsamkeit zu helfen, ist zu ändern, wie er andere wahrnimmt und über sie denkt. Zu diesem Schluss kommt eine umfassende Analyse früherer Forschungsuntersuchungen. Die Ergebnisse könnten Ärzten und Psychologen helfen, bessere Behandlungsmethoden gegen Einsamkeit zu entwickeln, die ein bekannter Risikofaktor für Herzkrankheiten und andere gesundheitliche Beschwerden ist.
In letzter Zeit haben Forscher die negativen Auswirkungen untersucht, die Einsamkeit auf Blutdruck, Schlafqualität, Demenz und andere Größen hat, aus denen hervorgeht, wie gesund ein Mensch ist. Diese Effekte zeigen, dass Einsamkeit, ähnlich wie Übergewicht oder Rauchen, ein gesundheitlicher Risikofaktor ist, den man gezielt beeinflussen kann, um die Gesundheit von Patienten in verschiedenen Bereichen zu verbessern.
„Die Isolation von Menschen wird immer größer, und dieses Gesundheitsproblem wird wahrscheinlich weiter an Bedeutung zunehmen”, sagt Dr. John Cacioppo, Professor für Psychologie an der University of Chicago. „Wenn wir wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Gesundheitsproblemen gibt, stellt sich als Nächstes die Frage, was wir dagegen tun können.”
Um herauszufinden, welches die effektivste Methode ist, um einsamen Menschen zu helfen, untersuchten Cacioppo und ein Team von Forschern der University of Chicago die lange Liste der Veröffentlichungen zu diesem Thema. Ihre quantitative Übersichtsstudie wurde jetzt in dem Journal Personality and Social Psychology Review veröffentlicht und zeigt, dass die besten Behandlungsmethoden auf die soziale Kognition (hier: Denkweise) von Menschen abzielten und weniger auf ihre sozialen Fähigkeiten oder Möglichkeiten zur sozialen Interaktion.
Die Übersichtsstudie des Teams, eine sogenannte Metaanalyse, untersuchte die Methoden und Ergebnisse Dutzender von Studien über Behandlungen gegen die Einsamkeit. Die Wissenschaftler unterschieden vier Arten von Behandlungsstrategien: die sozialen Fähigkeiten verbessern, den sozialen Rückhalt stärken, Möglichkeiten für soziale Interaktionen schaffen und die soziale Kognition hinterfragen.
Als die Forscher die zwanzig Studien mit dem strengsten wissenschaftlichen Studiendesign (randomisierte, kontrollierte Studien) zusammenfassten, fanden sie einen geringen aber statistisch signifikanten Behandlungseffekt, der die Einsamkeit verminderte. Die Analyse der Studien nach verschiedenen Strategien getrennt zeigte, dass Behandlungen, die auf die soziale Kognition abzielten (wie ein Mensch über sich selbst und andere denkt), sehr viel effektiver waren als die anderen Strategien.
„Wir verstehen Einsamkeit immer besser, dass sie mehr eine Frage der Kognition ist, an der man etwas ändern kann”, sagt Dr. Christopher Masi, der Assistant Professor für Medizin am Medical Center der University of Chicago und erster Autor der Studie ist.
Genauer gesagt, reduzierten die vier Behandlungsmethoden die Einsamkeit am effektivsten, die Menschen halfen, aus dem Zyklus negativer Gedanken über ihren Selbstwert und ihren Eindruck auf andere auszubrechen. Studien, die kognitive Verhaltenstherapie verwendeten, waren besonders wirksam, schreiben die Autoren. Diese Methode wird auch für die Behandlung von Depressionen, Essstörungen und anderen psychischen Problemen benutzt.
„Bei den effektiven Behandlungsmethoden geht es nicht so sehr darum, dafür zu sorgen, dass die Menschen andere zum Interagieren haben, ihnen soziale Unterstützung anzubieten oder soziale Fähigkeiten zu vermitteln. Sie verändern vielmehr, wie Menschen, die sich einsam fühlen, andere wahrnehmen, über sie denken und sich ihnen gegenüber verhalten”, sagt Cacioppo.
Die quantitative Analyse untersuchte auch, ob eine Gruppentherapie gegen Einsamkeit effektiver als individuelle Therapiemethoden war. Obwohl qualitative Übersichtsstudien in der Vergangenheit eine Behandlung in Gruppen favorisiert haben, waren in dieser Übersichtsstudie keinerlei Vorteile für Gruppen- oder Einzelbehandlungen erkennbar.
„Das ist nicht weiter überraschend, denn einen Haufen einsame Menschen zusammenbringen sollte auch nicht funktionieren, wenn man die tieferen Ursachen der Einsamkeit versteht”, sagt Masi. „Mehrere Studien haben gezeigt, dass einsame Menschen eine falsche Vorstellung von sich selbst haben, und wie andere Menschen sie wahrnehmen. Wenn man sie alle zusammenbringt, ist das, als ob man Leute mit unnormalen Wahrnehmungen zusammenbringt, und sie werden sich nicht unbedingt besonders gut verstehen.”
Cacioppo, Masi und ihre Kollegen wollen nun die Erkenntnisse aus ihrer Übersichtsstudie anwenden und neue Methoden entwickeln, mit denen man Einsamkeit quantifizieren und behandeln kann. Außerdem können unterschiedlich intensive Therapiemethoden für Psychologen und Hausärzte entwickelt werden und für Menschen, die verschieden stark unter ihrer Einsamkeit leiden. Aber alle solche Ansätze sollten sich eher auf die soziale Kognition als auf andere Möglichkeiten konzentrieren, um das Gesundheitsrisiko der Einsamkeit zu reduzieren.
„Ich glaube, dass Einsamkeit mehr und mehr als ein wichtiges medizinisches Problem anerkannt wird – und sicher werden die demografischen Entwicklungstrends der Gesellschaft dieses Problem eher noch verschlimmern”, sagt Masi. „Wir haben eine Art der Behandlung gefunden, die effektiv zu sein scheint, und wir werden schon bald eine neue Therapiemethode testen, die auf diesen Ergebnissen basiert.”
Quellen:
University of Chicago Medical Center, 9.9.10
Masi et al. Personality and Social Psychology Review, Aug 2010
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Rubrik: Mensch & Gruppe, Verhaltenstherapie
Tags: Einsamkeit, Risikofaktor, Sozialpsychologie, Therapieforschung, Wahrnehmung
sonja nagel
Juni 18th, 2012
Ich halte den Ansatz für falsch: nicht der Einsame hat ein Problem, sondern diejenigen, die andere verstoßen. Einsamkeit ist eine Folge von Abgelehntwerden, und das geschieht gerne durch Projektion der eigenen negativen Seite. Der größte Verdrängungsmechanismus ist das sofortige Schuldsuchen beim einsamen Menschen; der ist immer schuld an seiner Situation. Und genau DAS stimmt nicht. Die Schuld muß woanders gesucht werden. Und therapiert werden müssen die „Täter“ nicht die Opfer. Zuerst werden Menschen an die Seite geschoben, dann unterstellt man ihnen noch, daß sie nicht gemeinschaftsfähig sind. Welch ein Hohn! Und warum hätte jemand Komplexe? Weil er mit fremden Maßstäben konfrontiert wird. Unsere ganze Gesellschaft ist krank, vor allem die Psychologen, die sollten mehr nach den wahren Ursachen suchen. Zu viel abgelatschte Gemeinplätze.
Dieter Seekircher
Dezember 27th, 2012
Eine kurze, aber sehr gut durchdachte Analyse von Sonja Nagel. Dieter Seekircher