Sind Depressionen eine westliche Erscheinung?
Für die seit Jahren steigende Anzahl von Depressionserkrankungen in Industrieländern werden unter anderem Faktoren wie soziale Isolation, Informationsüberflutung oder Sinnkrise verantwortlich gemacht – typisch westliche Phänomene. Sind Depressionen also eine Zivilisationskrankheit? Um die Frage zu untersuchen, hat eine aktuelle Studie die Häufigkeit von Depressionen und Angststörungen in verschiedenen Ländern systematisch verglichen. Wir haben einen Presseartikel über die Studie vom Juli übersetzt, die zeigt, dass die Häufigkeit in verschiedenen Kulturen recht ähnlich ist:
Eine alte Theorie besagt, dass nur Menschen in westlichen Ländern unter Depressionen leiden. Aber diese These muss nun als widerlegt gelten, denn die Existenz von Depressionen und Angststörungen lässt sich heute in jeder Gesellschaft, überall auf der Welt nachweisen. Zu diesem Ergebnis kommt die bis heute umfangreichste, weltweite Untersuchung über Depressionen und Angststörungen, die von Forschern der University of Queensland in Australien veröffentlicht wurde.
Klinische Depressionen und Angststörungen wurden in zwei getrennten Studien untersucht. Menschen aus 91 Ländern (mehr als 480 000) wurden über ihre klinischen Angststörungen und/oder klinischen Depressionen befragt.
Diese Umfragen zeigten, dass klinische Depressionen und Angststörungen überall auf der Welt ernste Gesundheitsprobleme darstellen:
• Menschen in nicht-westlichen Gesellschaften, sogar solche in Konfliktregionen, litten seltener unter Angststörungen als Menschen in westlichen Gesellschaften.
• Zehn Prozent der Befragten in Nordamerika, Westeuropa und Australien/Neuseeland hatten Angststörungen.
• Acht Prozent der Menschen im mittleren Osten litten unter Angststörungen.
• Sechs Prozent der Menschen in Asien hatten Angststörungen.
• Bei Depressionen zeigte sind ein gegenläufiger Trend: Menschen in westlichen Ländern litten seltener unter Depressionen.
• Neun Prozent der Menschen in Ländern Asiens und des mittleren Ostens (zum Beispiel Indien und Afghanistan) litten unter klinischen Depressionen.
• In Nord- und Südamerika, Neuseeland, Australien und im fernen Osten (Länder wie China, Thailand und Indonesien) hatten vier Prozent der Menschen klinische Depressionen.
Nach Alize Ferrari, der ersten Autorin der Studie über Depressionen, zeigen die Ergebnisse, dass Depressionen in Regionen der Erde häufiger sind, wo Konflikte herrschen. Sie wies aber auch darauf hin, dass es schwierig sein kann Daten aus manchen Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zu erhalten.
Ferrari sagt:
„Wir brauchen noch mehr Studien über die Methoden, die in nicht-westlichen Ländern zur Diagnose von Depressionen verwendet werden, sowie zur Untersuchung ihrer Häufigkeit und Altersverteilung.“
Auch Amanda Baxter, die erste Autorin der Untersuchung über Angststörungen, mahnte zur Vorsicht, wenn man psychische Erkrankungen in verschiedenen Ländern vergleicht.
Sie sagt:
„Es ist nicht leicht psychische Erkrankungen in unterschiedlichen Kulturen zu quantifizieren, weil die Häufigkeit von Angststörungen durch viele Faktoren beeinflusst werden kann. Wir brauchen auch noch mehr Untersuchungen, um sicherzustellen, dass die Kriterien, nach denen man heute eine Diagnose von Angststörungen stellt, für Menschen in allen Kulturen geeignet sind.“
Sowohl klinische Depressionen als auch Angststörungen treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass bei Männern und Frauen über dem Alter von 55 Jahren Angststörungen seltener werden. Dagegen sind Depressionen in jedem Alter gleich häufig.
Etwa 4,7 Prozent aller Menschen (einer von 21) werden irgendwann in ihrem Leben an klinischen Depressionen erkranken.
Etwa 7,3 Prozent der Bevölkerung (einer von 13) leiden unter Angststörungen, der häufigsten aller psychischen Erkrankungen.
Zusammen sind diese beiden Studien die weltweit umfangreichsten Untersuchungen über klinische Depressionen und Angststörungen. Sie sind Teil der Global Burden of Disease (GBD)-Studie über die weltweiten Kosten ausgewählter Krankheiten und sollen später im Jahr erscheinen. Die GBD-Studie wird Schätzungen für 220 verschiedene Krankheiten enthalten, darunter elf psychische Erkrankungen.
Quellen:
Medical News Today, 23. Juli 2012
Baxter et al. Psychological Medicine, Juli 2012
Ferrari et al. Psychological Medicine, Juli 2012
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/a
Rubrik: Angst- & Panikstörung, Depression, Mensch & Gruppe
Tags: klinische Studie, Sozialpsychologie, Umwelt